Als ich mich von der Küste auf den Weg zum Grand Etang Nationalpark auf Grenada machte, verschränkten die Einheimischen im Hotel die Arme vor der Brust und spielten mir ein zitterndes Frösteln vor: „So kalt dort!“
Ich konnte es nicht glauben, liegt doch der Park gerade einmal in der relativ harmlosen Mittelgebirgshöhe von 500 bis 600 Metern. Ja, ein paar Grad kühler als an der Küste Grenadas ist es schon, aber es bleibt immer noch bei gefühlten hochsommerlichen Temperaturen, selbst im karibischen Winter. Es gibt wahrscheinlich doch einfach ein unterschiedliches Temperaturempfinden zwischen Einheimischen und mitteleuropäischen Touristen.
Viel größer als die Temperaturdifferenz zwischen Küste und dem Grand Etang im Inselinneren ist allerdings der Unterschied in der Luftfeuchtigkeit, recht häufig jedenfalls – wenn tropische Regen über den dichten Wäldern niedergehen und bleiche Nebelbänke und dicke Wolken die Berggipfel verhüllen. Dem ist zu verdanken, dass Grenada viel Süßwasser, Flüsse und zahlreiche Wasserfälle hat.

Manchmal ist der Himmel über dem Grand Etang aber auch wolkenlos – wie an dem Tag, als ich dort war.
Die Straße, die von der Hauptstadt St. George’s die Berge ins Landesinnere hinauf- und dann in Richtung Ostküste zu Grenadas zweitgrößtem Ort Grenville wieder hinabführt, ist eine der besser ausgebauten Straßen der ganzen Insel. Das ist aber nur relativ gemeint; frei von teilweise haarsträubenden Schlaglöchern ist auch diese Straße nicht, geschweige denn von engen Kurven und steilen Abschnitten.
Zumindest aber – was auf Grenada nicht selbstverständlich ist – ist der Nationalpark nicht zu übersehen, dessen Besucherzentrum und einige Parkplätze sich direkt am höchsten Punkt der Straße befinden.
Die Frage übrigens, wie man „Grand Etang“ ausspricht, lässt sich anscheinend nicht klar beantworten. Obwohl es eindeutig französisch ist und auch von vielen so ausgesprochen wird, gab es auch manche, welche die englische Aussprache bevorzugten. Ein Einheimischer fasste es so zusammen: Whatever you like!
Obwohl der Himmel strahlend blau war, herrschte am Parkplatz erstaunlich wenig Betrieb. Vielleicht liegt es daran, dass man in der Karibik eben doch Küsten und Strände vorzieht oder weil es nicht viele Wege im Park gibt, die sich bequem und ohne Führer begehen lassen.

Vom Parkplatz schickte man mich zunächst zum Besucherzentrum, wo ich mich nach möglichen Wegen erkundigen könne. Man war etwas verblüfft, als ich dort auftauchte; das Zentrum glich gerade einer Baustelle und wurde renoviert. Ob man mich tatsächlich hierher geschickt hätte? Offiziell sei es eigentlich zurzeit geschlossen. Glücklicherweise ist einer der einfachsten Wege vom Besucherzentrum aus zu sehen und mit dem Finger durch die Landschaft leicht erklärt.

Vom Hügel, auf dem das Besucherzentrum steht, ist der Grand Etang Lake gut zu sehen, und ein gut ausgeschilderter Weg, der Shoreline Trail, führt in ein bis zwei Stunden um ihn herum.

Obwohl der See weder besonders groß ist noch wirklich spektakulär aussieht, wird er mit seiner zentralen Lage im Herzen Grenadas doch als so bemerkenswert erachtet, dass er sogar auf dem Wappen Grenadas dargestellt ist, zusammen mit dem umgebenden Urwald, einem Gürteltier und einer Taube. Beiden bin ich nicht begegnet, auch der Monameerkatze nicht, der einzigen Affenart Grenadas, die mit einem Sklaventransport aus Westafrika gebracht wurde und sich seitdem in der Region des Grand Etang Parks verbreitet hat. Glücklicherweise hat Grenada keine giftigen Schlangenarten, so dass es erlaubt ist, zumindest die einfachen Wanderungen auch ohne Führer zu unternehmen.

Der Grand Etang Lake ist ein Kratersee, und man kann den bewaldeten Kraterrand, der den See umringt, gut erahnen. In einem Reiseführer habe ich gelesen, der See sei „sehr tief“, aber alle anderen Quellen nennen etwa 6 Meter als größte Tiefe, was ich nun nicht als sehr tief bezeichnen würde. Vielleicht meinte man mit „sehr tief“ ja eher „sehr unheimlich“, was schon eher stimmen mag: Die Sichtweite reicht nicht bis zum Grund des Sees, es gibt eine Legende über ein Seeungeheuer und Indizien, dass der See unterirdisch mit einem vor der Nordküste Grenadas gelegenen erloschenen Vulkan verbunden sei, und es ist nicht ganz geklärt, über welche Zuflüsse der See sein Wasser erhält, obwohl es einen eindeutigen Abfluss gibt, der mit einem kleinen Damm, der den Spiegel des Sees um ca. 1,5 Meter anhebt, reguliert wird.

Ob deshalb niemand hier badet, bezweifle ich. Es ist vermutlich einfach verboten, da der See der wichtigste Trinkwasserspeicher Grenadas und somit Wasserschutzgebiet ist. Da der See ringsum von einem breiten Streifen dichten Schilfrohrs umgeben ist, wäre der Zugang zu seiner freien Wasserfläche auch nicht so ganz einfach.

Der Shoreline Trail beginnt direkt am Ufer des Sees, verlässt es aber schnell. Obwohl das Ufer nie weit entfernt ist, kann man den See auf dem Wanderpfad durch die dichte Urwaldvegetation fast nie sehen.
Schon ziemlich zu Beginn des Pfades wird klar, dass es hier durchaus häufig regnet. An manchen Stellen kann man leicht bis zu den Knöcheln im Schlamm versinken, wenn man nicht einen erfinderischen Slalomkurs einschlägt, der die heikelsten Stellen vermeidet. Meine Trekkingschuhe sahen nach der Wanderung reif zur Entsorgung aus, ließen sich aber doch wieder komplett reinigen, und man sagte mir, das bisschen Schlamm sei doch gar nichts; von diesem Weg wären schon manche bis zu den Knien mit Schlamm bedeckt zurückgekehrt.
Der Pfad windet sich in einem ständigen Auf und Ab und kurvenreich durch den Urwald. Das dichte Blätterdach sorgt für viel Schatten, aber die Sonne, die durch gelegentliche Löcher scheint, wirft immer noch genug Licht auf dem Waldboden und an die Baumstämme, so dass es nicht wirklich dunkel ist.
Bambusgewächse, Mahagonibäume und hohe Palmen lassen erkennen, dass man nicht in einem heimischen Wald unterwegs ist, noch mehr aber die kräftigen Rufe exotischer Vögel, die hin und wieder durch den Wald schallen.

Zum Glück war die Parkverwaltung so sorgfältig, häufig genug Wegweiser aufzustellen, denn so manches Mal ist es nicht ganz klar, wo der Weg verläuft, und auf Wanderer, die den Weg kennen, kann man nicht unbedingt zählen. Während der ganzen Seeumrundung habe ich keinen einzigen getroffen.
In der Nähe des kleinen Damms, wo der See abfließt, gibt es die einzige Stelle auf dem Pfad, an der man noch einmal Sicht auf den Grand Etang Lake hat.

Vom Besucherzentrum aus gibt es einen leichten Weg, der in etwa 10 Minuten auf einen Aussichtspunkt führt, von dem aus deutlich wird, wie weit sich die Waldgebiete auf Grenada bis an die Küsten erstrecken.

Auf dem Weg über die Hauptstraße vom Grand Etang zur Ostküste gibt es noch einige schöne Aussichtspunkte mit Blick zurück auf den Park und die grünen Berge im Inneren der Insel.

Der Weg zurück führte über die Ost- und Südküste an der Woburn Bay entlang und unter anderem über eine enge Straße, die jemand parkend von einer einspurigen in eine etwa halbspurige Fahrbahn verwandelt hatte. Das unglaubliche Verkehrschaos, das er damit verursachte – für 50 Meter brauchte man dort etwa 20 Minuten – sah er sich gelassen an sein Auto gelehnt und plaudernd mit einer Flasche Carib-Bier an. Man fluchte und hupte wie wild, aber nur, wenn der Vordermann sich nicht waghalsig genug gegen den Gegenverkehr in eine sich für eine Sekunde öffnende Lücke stürzte. Der parkende Plauderer mit kühlem Bier blieb unbehelligt. Haha! Andere Länder, andere Prioritäten.

(Fotos vom Januar 2019)
(Sorry noch einmal für die mit einer versehentlich eingestellten ISO-10000-Empfindlichkeit vermasselte Fotoqualität. Am Abend nach diesem Ausflug hatte ich dann den Fehler bemerkt und korrigiert.)