Einer der ersten Eindrücke, als ich abends auf Grenada ankam und nach oben blickte, war irritierend: Orion stand senkrecht am Himmel. Unser europäisches Wintersternbild, das meistens nur so gerade über dem Horizont dümpelt, an einer völlig falschen Position!
Das war nicht das einzige, was falsch war. Als ich im Mietwagen saß, wurde mir – obwohl ich es natürlich vorher wusste – angesichts des Fahrersitzes auf der rechten Seite erst richtig klar, dass man hier links fährt. Meine bisherige Gelassenheit gegenüber der Herausforderung einer ungewohnten Straßenseite verwandelte sich in eine gewisse Unruhe, insbesondere da es inzwischen völlig dunkel war.
Meine naturgemäß recht langsame Fahrt machte mich dann bald mit der nächsten Eigenart des Autofahrens auf den ostkaribischen Inseln vertraut: Für die Einheimischen ist das wichtigste Bauteil eines Autos die Hupe. Von ihr wird äußerst häufig Gebrauch gemacht und es ist selten klar, zu welchem Zweck, aber was man mit dem Hupen zum Ausdruck bringt, reicht von „Hallo, super Tag heute!“ über „Hallo mein Freund, ich überhole jetzt!“, „Danke fürs Überholenlassen!“ und „Pass auf Du Penner, ich überhole jetzt!“ bis „Gib Gas, Du Penner!“. Ich fürchte, an jenem Abend mit mir auf Grenadas Straßen überwog die letzte Variante, gilt doch die Straße vom und zum Flughafen als die Rennstrecke auf Grenada, auf der vor allem Taxis versuchen, Rekorde zu brechen.
Links fahrend, im Dunkeln, mit hupenden einheimischen Taxis im Nacken versuchte ich also, mein Hotel zu finden. Aus eigener Kraft wäre ich gescheitert, zu groß ist auf Grenada die Abneigung gegen wegweisende Beschilderungen. So war ich denn recht früh gezwungen, die einzig richtige Strategie, auf der Insel einen Weg zu finden, zu lernen: Anhalten und nach dem Weg fragen – am besten häufig und etappenweise. Das funktioniert immer und ist meistens von großer Freundlichkeit, mindestens aber von sachlicher Präzision, also immer von Hilfsbereitschaft, begleitet – vom Grundschüler, der gerade in Uniform aus der Schule kommt, bis zur betagten Dame, die mit Sonnenschirm zur Kirche unterwegs ist. Man kann davon ausgehen, dass in diesem kleinen Land mit seinen gerade einmal 100.000 Einwohnern und seinem dünnen Straßennetz praktisch jeder jeden Winkel der Insel und den Weg zu ihm kennt. So entnervend es an diesem ersten Abend war, den Weg zu finden, hat es mir an den späteren Tagen geradezu Spaß gemacht, ihn nicht zu finden und damit Gelegenheit zu haben, nach ihm zu fragen.
Am ersten Morgen sah die Welt dann ganz anders aus.

Meine Enttäuschung vom Vorabend, in der mondlosen, schwarzen Nacht keinen Hauch des karibischen Meers zu sehen, war verschwunden.

Nicht minder beeindruckend wie das türkisfarbene Meer ist die tropische Vegetation, die sich über der Bucht, der Grand Anse Bay, die Hügel hinauf erstreckt.

Hier wie auch auf allen anderen ostkaribischen Inseln ist die Bougainvillea (die zur Pflanzenfamilie mit dem schönen Namen „Wunderblumengewächse“ gehört) ein fast alltäglicher Anblick und eine der ersten farbenfrohen Strauchblumen, die ins Auge stechen.

Auf der anderen Seite der Bucht liegt Grenadas Hauptstadt St. George’s, vor der fast täglich ein Kreuzfahrtschiff anlegt. Der kleine Hafen bietet kaum mehr Platz als für eines der großen Schiffe.

Die Grand Anse Bay im Südwesten Grenadas ist das touristische Zentrum der Insel. Die meisten Hotels befinden sich in der Nähe des etwa drei Kilometer langen hellen Sandstrands, der die Bucht säumt. Die Hotels fügen sich geradezu unauffällig in die Landschaft ein, was vor allem der gesetzlich festgelegten Bauvorschrift zu verdanken ist, dass auf Grenada kein Hotel höher als eine Palme sein darf, was auf maximal ungefähr zwei Stockwerke plus Spitzdach hinausläuft. Der Strand ist über seine ganze Länge gesehen ganz und gar nicht überlaufen, obwohl er als einer der schönsten der ganzen Karibik gilt.
Das gilt nicht ganz für das nördliche in Richtung St. George’s sich erstreckende Drittel. Ob es hier voll ist oder nicht, hängt mehr oder weniger allein davon ab, ob gerade ein Kreuzfahrtschiff vor Anker liegt. In dem Fall entscheidet sich normalerweise ein Teil der Kreuzfahrer dafür, einen Tag am Strand zu verbringen. Die Geschäftstüchtigkeit der Einheimischen läuft dann auf Hochtouren mit aufgestellten Sonnenschirmen, Liegen, einem kontinuierlichen Angebot an Drinks, kleinen Bootsfahrten in die Bucht und Tauch- oder Schnorchelangeboten.
Weiter südlich reißt die Infrastruktur aus Schirm, Liege und Rumpunsch irgendwann ab und es gibt dann viele Stellen, an denen man ein großes Stück Strand beinahe für sich allein hat.

Die Luft und das Wasser haben hier immer angenehme Temperaturen, selbst wenn die Wolken mal etwas mehr Schatten werfen.

So paradiesisch es heute hier ist, war dieser Strand tatsächlich einmal der Schauplatz von Kämpfen während der amerikanischen Invasion von 1983. Stacheldrähte und Minen haben dem Strandleben für einige Zeit den Garaus gemacht. Davon ist heute nichts mehr zu sehen, und es gibt nur noch sehr wenige offensichtliche Zeugnisse dieses politischen Kapitels Grenadas, das den kleinen Inselstaat für kurze Zeit in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt hatte. Davon aber mehr in einem späteren Beitrag.
In der Nähe des Grand Anse Beach liegt auch das größte Einkaufszentrum der Insel. Wirklich groß ist es nicht, aber was ihm an Ausdehnung fehlt, macht es durch Flaggen, Banner und eine Fülle an Verbotsschildern wieder wett.

Im Einkaufszentrum liegt auch der Eingang zu einer Bank, der den für das ganze Gebäude geltenden Verboten noch ein paar spezielle für die Bank hinzufügt: Keine Fotos, Sonnenbrille runter, Hut ab! Der Respekt vor allen Staats- und anscheinend auch Finanzinstitutionen wird auf Grenada sehr ernst genommen.
Die Grand Anse Bay liegt recht weit im Süden der Insel, aber noch auf der Westseite, der karibischen Seite, die geschützt vor den Winden des Nordostpassats ist. Das Bild ändert sich deutlich, wenn man die direkte von vielen kleinen Halbinseln und Felsvorsprüngen zerklüftete Südküste der Insel erreicht. Strände kommen hier nur noch in den tief eingeschnittenen Buchten vor. Die dem Wind ausgesetzte Felsküste ist rau und zeigt nur noch eine niedrige aus Gräsern und Sträuchern bestehende Vegetation.

Das Bild ist auf allen dem offenen Atlantik zugewandten Seiten der ostkaribischen Inseln zu finden, und es gehört zu ihnen gleichermaßen wie Palmen und weiße Sandstrände.


Dennoch bieten die vielen Halbinseln und ins Inselinnere eingeschnittenen Buchten an der Süd- und Ostküste Grenadas genug Schutz vor dem Wind, um sie in ideale karibische Badebuchten und Strände zu verwandeln.
Eine der größten Halbinseln an der Südküste ist die Lance aux Epines, an deren äußerster Spitze ein Leuchtturm über den Klippen thront.
Im Inneren der westlich der Halbinsel liegenden Prickly Bay befindet sich der Lance aux Epines Beach, um den sich ein kleineres zweites touristisches Zentrum entwickelt hat, das größenteils von recht exklusiven und teuren Hotels umgeben ist.


Der Zugang zu dem Strand ist nicht so offensichtlich und man könnte auf den ersten Blick meinen, es handele es sich um private, den Hotels gehörende Strandabschnitte. Glücklicherweise ist das nicht der Fall; die Strände in der ganzen Karibik sind grundsätzlich öffentlich und können nicht privatisiert werden, ganz gleich, wie viele Dollar ein Interessent bieten mag. In den meisten Fällen führt der einfachste Weg zum Strand einfach durch eine Hotelanlage. Vermutlich könnten die Hotels dem Einhalt gebieten, aber sobald man einmal den Strand erreicht hat, ist man auf sicherem öffentlichem Boden und kann ihnen die lange Nase zeigen. Oder man trinkt ein Carib-Bier, einen Rumpunsch oder einen kreativen Kokos-Mango-Ananas-Limetten-Guave-Soursop-Sternfrucht-WasSonstNochGeradeDaIst-Fruchtsaftmix in ihrer Strandbar, um sich für das nächste Mal die freundschaftlichen Beziehungen zu erhalten.

(Fotos vom Januar 2019)
(PS: Falls die Bilder ab dem Leuchtturm etwas unscharf und verwaschen erscheinen, dann täuscht der Eindruck nicht. Ich habe unbemerkt und versehentlich eine Kameraeinstellung verfummelt und an dem Nachmittag – und leider auch am nächsten Tag – alles mit ISO 10000 fotografiert, was zu einer sehr üblen Körnigkeit und Unschärfe der Fotos führt.)
Toller Bericht aus einer nicht gerade bekannten Ecke der Welt. Vor allem der Einstieg. Da musste ich doch mal lachen, so als europäischer Autofahrer.
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Danke! Man gewöhnt sich ja erstaunlich schnell ans Linksfahren. Was ich das nächste Mal aber unbedingt versuchen würde zu vermeiden, ist, die allererste Fahrt in einem völlig fremden Land (das auf Wegweiser wirklich nicht viel gibt) im Dunkeln absolvieren zu müssen. 🙂
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tolle Fotos und da wäre ich gerne jetzt auch !!! Sehr gut das die Strände nicht privatisiert werden. Ein Vorbild für alle !!!
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Danke! Ja, ich könnte auch direkt wieder ins Flugzeug steigen! 🙂
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ich auch !!! Nichts wie weg !!!
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