Wenn man auf dem internationalen Flughafen Hewanorra ganz im Süden St. Lucia’s landet und nach dem Aussteigen einen ersten Blick über die Insel wirft, bekommt man einen ziemlich falschen Eindruck von ihrer landschaftlichen Gestalt. Der Süden ist, untypisch für den größten Teil der Insel, relativ flach und trocken.
Es sei denn, man landet, wie ich von Grenada kommend, abends nach Einbruch der Dunkelheit, in welchem Fall man erst mal gar keinen Eindruck von der Insel bekommt. Stattdessen wurde mein erster Eindruck von der für alle Inseln vor dem Winde notorisch strengen Immigrations- und Zollkontrolle bestimmt, die mein schöner aus Palmblättern geflochtener und am Grand Anse Beach auf Grenada gekaufter Sonnenhut nicht überlebt hat.
„Der ist ja noch ganz frisch!“, meinte der Zollbeamte beim Blick auf die grünen Palmblätter. Das ginge gar nicht und er müsse unter Quarantäne gestellt werden als ob ich einen todbringenden Virus einschleppen würde. Ich könne ihn beim Weiterflug wieder abholen, was aber keinen Sinn machte, da ich St. Lucia vom ca. 50 Kilometer entfernten nördlichen Flughafen wieder verlassen würde. Was denn das Problem wäre, er könne mir doch nicht erzählen, dass auf Grenada grundlegend andere Palmen wachsen würden als hier, erwiderte ich beim Versuch, meinen Hut vor einem trostlosen Quarantänelager zu retten. Eben das wäre das Problem, meinte er. Es ginge nicht um die Palmblätter, sondern um mögliche kleine Insekten oder Insekteneier auf den Pflanzen, Insekten, die es möglicherweise auf St. Lucia noch nicht gäbe, die sich hier aber pudelwohl verbreiten könnten, weil sie hier eben die gleichen Palmen vorfinden würden wie auf ihrer Heimatinsel Grenada.
Der Hut war weg, da war nichts zu machen. Brauchen würde ich ihn an dem Abend zumindest nicht mehr. Am nächsten Morgen sah das von der Zwischenunterkunft in der Nähe des Flughafens schon anders aus.

Bevor ich mich in nördliche Richtung entlang der Ostküste aufmachte, stattete ich noch der Halbinsel Vieux Fort am äußersten Südende St. Lucia’s einen Besuch ab. Von dort hat man einen schönen Blick über die südlichen Abschnitte sowohl der atlantischen Ostküste als auch der karibischen Westküste.

Vieux Fort ist ein etwa 200 Meter hoher Hügel, so dass man bei gutem Wetter auch weit ins grüne und gebirgigere Inselinnere blicken kann.

Der gleichnamige Ort Vieux Fort beherbergt auch einen Frachthafen, der große wirtschaftliche Bedeutung für St. Lucia hat. Vor hier wird ein guter Teil des wichtigsten Handelsguts der Insel, Bananen, verschifft.

In Richtung Süden kann man bei guter Sicht die gut 40 Kilometer entfernte Hauptinsel von St. Vincent erkennen.

Die Strände in der Umgebung von Vieux Fort sind aufgrund des teilweise heftigen atlantischen Windes an der Ostküste bei Kitesurfern beliebt. Ein paar Unterkünfte und Resorts befinden sich in der Gegend, aber der Süden St. Lucia’s ist keines der touristischen Zentren der Insel, die alle eher auf der westlichen Karibikseite, insbesondere im Nordwesten liegen.

Das Städtchen Vieux Fort gehört zu den drei größten Orten St. Lucia’s. Neben einigen Industrieanlagen und Brauereien findet sich dort auch ein Einkaufszentrum, in dem sich ein großer Teil des Südens der Insel versorgt.

Wie auf den anderen ostkaribischen Inseln ist die dem offenen Atlantik zugewandte Ostküste St. Lucia’s rau und zerklüftet. Ein paar Orte reihen sich die Küste entlang auf und große Bananenplantagen bestimmen das Bild, wenn man nordwärts auf der gut ausgebauten Küstenstraße fährt.

Aus der Nähe fällt auf, dass die Bananenstauden in blaue Plastikbeutel gehüllt sind. Der Zweck ist im Wesentlichen, die Früchte, die in der frühen Wachstumsphase sehr empfindlich sind, vor Insekten und Schädlingen zu schützen.

Auf halbem Weg liegen die Mamiku Botanical Gardens, ein botanischer Garten, der gleichermaßen von Touristen und Einheimischen, die sich dort Anregungen für die Gestaltung ihres eigenen Gartens holen, besucht wird.

Mit einem kleinen Blumenatlas bewaffnet, den man leihweise an der Bar des Gartens erhält, kann man sein Glück versuchen, der Fülle tropischer Blumen einen Namen zu geben. Ich habe mein Glück nicht versucht und nur eine Reihe Fotos gesammelt.

Es finden sich hier auch ein paar historische Überreste des Gartens, der sich ursprünglich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Besitz des französischen Ehepaars Madame und Baron de Micoud befand, bevor er in einen englischen Militärposten umgewandelt wurde, der schließlich von einer Gruppe befreiter Sklaven St. Lucia’s, den Brigands, die sich in einem kurzen Bürgerkrieg gegen die englische Besatzungsmacht auflehnten, zerstört wurde.
Aus dieser Zeit mag auch einen Sonnenuhr stammen, die sich auf einem kleinen Podest inmitten des Gartens befindet, aber beschwören kann ich ihre Entstehungszeit nicht. Jedenfalls geht sie richtig; es war tatsächlich etwa 14:15 h, als ich das Foto schoss.

Die Straße an der Ostküste endet in Dennery auf halbem Weg zur Nordspitze St. Lucia’s. Der Nordosten St. Lucia’s ist sehr dicht bewaldet und schwer zugänglich. Keine Straße führt an diesem Küstenabschnitt entlang.

Stattdessen wendet sich die Hauptstraße nun ins grüne Landesinnere, um die Insel einmal bis zur Westküste zu durchqueren. Im Vergleich zu Grenada ist die Straße in ziemlich gutem Zustand. Trotzdem hat die Regierung St. Lucia’s ein Budget über mehrere Millionen Dollar bereitgestellt, um die Hauptstraße auszubessern. Man wundert sich, gibt es doch viele Nebenstraßen auf St. Lucia, deren Bodenbeschaffenheit fatal ist und die nur mit Geländewagen befahrbar sind. Das gilt auch für Zufahrtstraßen zu vielen Hotels.
Der Grund, warum man sich nicht zunächst um diese Straßen kümmert und die eigentlich schon gute Ostküstenhauptstraße und die Inseltraverse noch besser machen will, liegt in St. Lucia’s wichtigstem Exportgut, den Bananen. Ein großer Teil muss von den Plantagen an der Ostküste nach Vieux Fort oder in die Hauptstadt Castries an der Westküste mit LKWs zur Verschiffung transportiert werden, und jede Bodenwelle und Erschütterung schädigt die empfindlichen Bananen ein wenig mehr und hat negativen Einfluss auf die Qualität der Früchte und damit den erzielten Erlös beim Verkauf. Ein Tourist steckt es eben am Ende besser weg, durchgeschüttelt zu werden, als eine Banane.

Der Micoud Highway, die Inseltraverse zwischen Ost- und Westküste, folgt auf der zweiten Hälfte immer dem Cul de Sac, dem längsten Fluss St. Lucia’s, der schließlich in der Grande Cul de Sac Bay in die karibische See mündet. Die Strecke ist gebirgig und das Wetter kann sich zwischen Küsten und Gebirge um 180 Grad drehen, und genauso schnell wieder zurück.

Das Ziel meiner Fahrt war die Marigot Bay, die man nach der Durchquerung der Insel über die Westküstenstraße nach wenigen Kilometern in südlicher Richtung durch eine üppig grüne Landschaft erreicht.

(Fotos vom Februar 2019)