Das war einer der Tage, an denen man nicht wusste, ob das Wetter einen Ausflug erlaubt oder nicht. Vom Matterhorn war am Morgen gar nichts zu sehen, so komplett war es in Wolken verhüllt. Andererseits gab es ein paar blaue Löcher am Himmel. Am besten fragt man bei so einem ambivalenten Wetter die Einheimischen. „Das wird wahrscheinlich besser im Laufe des Tages, und wenn nicht, sieht es am Schwarzsee sehr mystisch aus. Das hat auch seinen Reiz.“

Das hat mich überzeugt und ich ging zur Gondelstation des „Matterhorn Express“ am oberen Talende von Zermatt. Der Matterhorn Express ist eine Umlaufgondelbahn in drei Abschnitten. Jede Kabine hat Platz für sechs Personen. Der erste Abschnitt führt von Zermatt zur Station Furi, der zweite von Furi zum Schwarzsee und der dritte vom Schwarzsee zum Trockenen Steg. Je nachdem, wie weit man fahren will, kann man sitzen bleiben oder an den entsprechenden Zwischenstationen aussteigen. Eine identisch gebaute Gondelbahn, der Riffelberg Express, führt außerdem noch von Furi auf den Riffelberg, in die man an der Station Furi umsteigen kann.

Die Transportinfrastruktur aus Seilbahnen, Gondelbahnen, Sesselliften und Zahnradbahnen ist in Zermatt zur Perfektion getrieben – im Sommer und erst recht im Winter, wo zusätzlich noch zahllose Skilifte in Betrieb sind. Die Möglichkeit, schnell in die Höhe zu gelangen, macht Höhenwanderungen sehr bequem – und Zermatt wird eigentlich erst in der Höhe wirklich interessant. Vom Ort aus sieht man genau einen Berg – ich muss nicht erwähnen, welchen -, ansonsten ist Zermatt von zwei steilen Hängen eingerahmt, welche die Sicht auf die Fülle der übrigen Viertausender verstellen, die hier so zahlreich sind wie nirgendwo sonst in den Alpen.

Der Schwarzsee ist nicht nur ein kleiner See, sondern der ganze Bergrücken, auf dem er liegt, trägt diesen Namen. Zusammen mit dem Matterhorn selbst wird der Schwarzsee morgens als Erstes von allen Zermatt umgebenden Gebieten in Sonnenlicht getaucht. Wie eine angezündete Fackel leuchtet das Matterhorn dann über Zermatt, während es im Ort selbst noch dunkel ist.

Direkt am See liegt die kleine Kapelle „Maria zum Schnee“ und im See gibt es kleine Fische – das war’s weitgehend.

Knapp 700 Meter höher, auf 3260 Metern Höhe, liegt die Hörnlihütte, zu der man üblicherweise in einer etwa zweistündigen Tour vom Schwarzsee aus aufsteigt.

Die Hörnlihütte ist Ausgangspunkt für die Normalroute – d.h. die einfachste und am häufigsten begangene – auf das Matterhorn, dessen Gipfel etwa 1200 Meter über der Hütte liegt. Der Aufstieg beginnt sehr früh morgens und dauert etwa 6 Stunden. Er verläuft über den Nordostgrat – den „Hörnligrat“ -, der direkt an der Hütte beginnt. Von Zermatt aus kann man oft vor Sonnenaufgang eine Kette von Lichtpunkten der Stirnlampen der Bergsteiger sehen, die langsam den Grat hinaufkriecht.

Das Matterhorn hat insgesamt vier Grate, die alle begehbar sind, wenn auch mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad. Natürlich wurden auch alle vier Wände des Matterhorns auf zahllosen Routen und sommers wie winters durchstiegen. Im Schnitt dauert der Weg durch eine Wand doppelt so lange wie über einen Grat, wobei es „Speed-Kletterer“ gibt, welche die Nordwand, die berühmteste und schwierigste der Wände, schon in weniger als zwei Stunden durchklettert haben. Andere sind alle vier Grate hintereinander an einem einzigen Tag hochgeklettert – ja, viermal „hoch“, d.h. sie sind am gleichen Tag auch viermal wieder runtergeklettert! Es gibt an einem der ikonischsten Berge der Welt bergsteigerisch kaum eine verrückte Herausforderung, die nicht schon gemeistert wurde.

Die meisten Grate und Wände sind auf kürzestem Weg von Zermatt aus zu erreichen, aber für einige liegt das italienische Pendant, der 2347 Meter hoch gelegene Ort Breuil-Cervinia, näher. (Die italienisch-schweizerische Grenze verläuft über das Matterhorn und der Berg heißt im Italienischen „Cervino“, im Französischen „Le Cervin“.) Von Breuil-Cervinia blickt man vor allem auf die Südwand des Matterhorn, das aus dieser Perspektive nicht wiederzuerkennen ist. Unfairerweise hat Zermatt aufgrund der außergewöhnlicheren Gestalt des Matterhorns aus nördlicher Sicht allen Ruhm und all das touristische Einkommen geerntet.

Vom Schwarzsee geht es mit dem Matterhorn Express 3 weiter zum Trockenen Steg in über 2900 Metern Höhe. Statt über den Umweg über den Schwarzsee kann der Trockene Steg auch direkt mit einer Seilbahn von Furi aus erreicht werden.

Trockener Steg ist zusammen mit dem noch höher gelegenen Gebiet um das Klein Matterhorn eines der größten Skigebiete Europas. Im Sommer sieht es mit seinen riesigen Schotterpisten und Geröllflächen nicht wirklich schön aus, aber die Aussicht auf die Fülle an umliegenden Viertausendern ist fantastisch.
Die Perspektive auf das Matterhorn, das immer noch sehr nah ist, hat sich inzwischen verändert. Die Nordwand ist nun nicht mehr zu sehen; stattdessen hat man fast frontalen Blick auf die Ostwand mit dem Nordostgrat („Hörnligrat“) zur Rechten und dem Südostgrat („Furggengrat“) zur Linken.

Ein Panoramaschwenk um etwa 180 Grad am Trockenen Steg sieht so aus:








Das Wetter war tatsächlich besser geworden. Auf dem Rückweg zum Schwarzsee war die Sicht über das Mattertal inzwischen fast klar, wenn auch das Matterhorn immer noch in Wolken hing.

Von der Gondelbahn vom Schwarzsee nach Furi gab es noch eine schöne Sicht in das Tal des Gornerbaches, des Schmelzwasserbachs des Gornergletschers. Vor einigen Jahrzehnten war hier noch eine Verlängerung des Gornergletschers, der Bodengletscher, der inzwischen vollständig verschwunden ist.

Der Gornerbach, auch Gornera genannt, vereinigt sich noch oberhalb von Zermatt mit dem Furggbach und dem Zmuttbach zur Mattervispa, die Zermatt durchfließt und später auf die Saaservispa aus dem Tal von Saas Fee trifft. Als Vispa durchströmen sie den unteren Teil des Mattertals, bevor sie endlich in die Rhone münden.

(Fotos vom August 2019)