Wenn das Wetter in Zermatt so schlecht ist, dass die Wolken gefühlte zehn Meter über dem Kopf hängen, bietet sich ein Ausflug an. Vielleicht nach Italien? Vielleicht zum sonnenverwöhnten Lago Maggiore? Er ist jedoch nicht so nah wie man meint, denn es liegen Berge im Weg der direkten Luftlinie – nicht überraschend im Gebirge. Große Umwege sind nötig, um dieses Ziel zu erreichen.

Es sind schon etwa 35 Kilometer, um von Zermatt durch das gesamte Mattertal ins Rhonetal zu gelangen. Von dort geht es ostwärts durch das Tal bis Brig, wo die Simplonpassstraße beginnt, die via Domodossola zum Lago Maggiore führt. Insgesamt ist die Strecke etwa 140 Kilometer lang.

Auf der Straße zum Simplonpass überquert man die Ganterbrücke, die bis 2014 die Brücke mit der größten Spannweite in der Schweiz war. Sie wurde 1980 gebaut und ersetzte damit eine alte Version der Brücke, die schon Anfang des 19. Jahrhunderts von Napoleon Bonaparte gebaut wurde, der sie nutzte, um seiner Artillerie die Überquerung der Alpen zu ermöglichen.

Der Simplonpass, der schon früher als Verbindung zwischen dem Wallis und Italien genutzt wurde, erlangte erst durch Napoleons Straßenbau überregionale Bedeutung, die im 20. Jahrhundert noch weiter zunahm. Die alte Straße wurde weitgehend durch eine neue Nationalstraße ersetzt, welche den Simplonpass zum bestausgebauten Passübergang der Schweiz machte und heute vom Schwerlastverkehr intensiv genutzt wird. Unter dem Simplonpass verläuft der knapp 20 Kilometer lange Simplon-Tunnel, ein Anfang des 20. Jahrhunderts gebauter Eisenbahntunnel, der bis 1982 der längste Tunnel der Welt war.
Auf der 1995 Meter hoch gelegenen Simplon-Passhöhe wurde klar, dass das Wetter in Italien nicht besser sein würde als im Wallis. Es war im Nebel schier gar nichts zu sehen. Also entschied ich mich zur Umkehr und zu einem Stadtbummel durch Brig im Rhonetal.

Brig ist mit etwa 13.000 Einwohnern Zentrum und größter Ort im Oberwallis, dem deutschsprachigen Teil des Rhonetals. Wirtschaftliche Bedeutung hat die Gemeinde vor allem durch den Simplontunnel erlangt, dessen nördlicher Ausgang sich hier befindet.

Brig ist außerdem eine Haltestelle des Glacier-Express sowie der Bahnverbindung in die nördliche Schweiz durch den Lötschbergtunnel, der die Berner Alpen unterquert.

Brig hat eine sehenswerte Altstadt, in der insbesondere das Stockalperschloss auffällt.

Es ist nach Kaspar Stockalper benannt, der im 17. Jahrhundert prägend für die Geschichte von Brig war. Er war Kaufmann und Politiker und entstammte einer Familie, welche die Stockalp am Simplonpass bewirtschaftete.
Er erkannte die Bedeutung des Passes für den Handel zwischen dem Wallis und Italien und ließ den Stockalperweg, einen alten Saumpfad über den Simplonpass, ausbauen, um den Handel zwischen den beiden Regionen voranzutreiben.

Durch die Handelstätigkeit über den Pass, die Erschließung mehrerer Bergbauminen und nachdem ihm das Salzmonopol, das Hoheitsrecht über die Gewinnung von Salz, zugesprochen wurde, wurde er sehr wohlhabend.
Mehrere Gebäude in der Altstadt zeugen von der regen Bautätigkeit, zu der ihn sein Reichtum bewegt hat.
Irgendwann reichte sein Handelsimperium durch halb Europa und wurde so erdrückend, dass sich mehrere Familien gegen ihn zusammentaten, um ihn wegen mehrerer angeblicher Vergehen, wie dem Missbrauch des Salzmonopols und der unberechtigten Erhöhung von Zöllen über den Simplonpass, anzuklagen.
Mit Erfolg: Er musste sich mehrere Jahre ins Exil nach Domodossala zurückziehen, konnte später aber aufgrund einer günstigeren politischen Lage zurückkehren, um den Rest seines Lebens auf seinem Schloss in Brig zu verbringen.
Die heutige Gestalt der Innenstadt von Brig mit breiten Fußgängerzonen ist weitgehend das Ergebnis von Renovierungsarbeiten in der Folge einer Hochwasserkatastrophe im Jahre 1993, welche die Stadt meterhoch mit Schlamm und Geröll überflutet hatte.
Bis zu drei Meter hoch schoben sich damals das Geröll und die Wassermassen der Saltina, eines Nebenflusses der Rhone, mitten durch Brig, nachdem tagelange heftige Regenfälle ihren Pegel hatten anschwellen lassen.
Der angerichtete Schaden war enorm und belief sich auf eine halbe Milliarde Franken.
Diese Katastrophe ist mittlerweile lange her, aber kleinere und mittlere Ereignisse dieser Art sind im Wallis gang und gäbe, und ich sollte noch am gleichen Tag selbst davon betroffen sein.

In Randa auf dem Weg nach Zermatt hatte ein Bergsturz die Straße und auch Teile der Bahnstrecke verschüttet, so dass Zermatt an diesem Tag mit Auto und Bahn nicht mehr zugänglich war.
Viele Besucher waren zu einer Zwischenübernachtung außerhalb von Zermatt gezwungen. Mich hat diese Übernachtung nach Grächen geführt, einem Ort etwa dort, wo Matter- und Saasertal zusammenlaufen.
Obwohl viel weiter unten im Mattertal gelegen, befindet sich Grächen auf einer Hochterrasse, die etwa genauso hoch wie Zermatt ist. Die Umgebung des Ortes gilt als das niederschlagsärmste Gebiet der Schweiz und der ganzen Alpen.
Noch am nächsten Morgen war die Straße gesperrt, so dass sich eine Gondelfahrt auf eine nahegelegene Alm oberhalb von Grächen anbot, zumal der Preis für die Fahrt sogar in der Zimmerübernachtung enthalten war.
Wahrscheinlich ist der Ort eine echte und geldbeutelschonende Ferienalternative zu Zermatt im Sommer wie im Winter. Die gleiche Höhe hat er ja und das Matterhorn ist auch in der Ferne zu sehen, wenn Wolken nicht die Sicht versperren.
Mittags war die Straße wieder geräumt. Bei Randa war nicht mehr viel von dem Bergsturz zu sehen, abgesehen von seinem großen Vorläufer, dem Bergsturz von 1991, bei dem gigantische Teile einer Felswand in zwei großen Wellen ins Tal gestürzt sind und ganze Ortsteile unter sich begraben haben.


(Fotos vom August 2019)