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Grenada – Ostküste und die Reste der Invasion

Städte, Strände und ein Stück Geschichte

Wie viele Inseln hat auch Grenada eine Ringstraße, welche die beiden längeren Küsten – die karibische Westküste und die atlantische Ostküste – miteinander verbindet. Daneben gibt es nur noch zwei Straßen, welche die direktere Verbindung durch das Inselinnere herstellen: Zum einen die Straße über den Grand Etang Nationalpark, die von der Hauptstadt St. George’s nach Grenville an der Ostküste, dem zweitgrößten Ort Grenadas, führt, und zum anderen eine Straße vom weiter nördlich gelegenen Guyave an der Westküste, die ebenfalls in Grenville endet.

Guyave ist ein Fischerort, der unter anderem für seinen „Fish Friday“ bekannt ist. Ich wollte mir das Ereignis nicht entgehen lassen und war unterwegs von Grenville nach Guyave über die erwähnte direkte Verbindungsstraße über die Insel. Auf der Karte ist diese Straße im Stil einer verkehrstechnisch gewichtigen „Bundesstraße“ eingezeichnet. Die Realität ist, dass es eine kurvenreiche, teilweise durch die Berge verlaufende steile und vor allem so schmale Straße ist, dass zwei Autos kaum aneinander vorbei passen. Natürlich gibt es keine Straßenbeleuchtung und an der Straße liegen kaum Orte und nur sehr wenige einzelne Häuser, und wenn die Dunkelheit hereinbricht, wird es unangenehm, wenn man die Straße zum ersten Mal fährt. Wie üblich auf Grenada hat man auch mit Beschilderungen sehr gespart, so dass ich an einer Stelle in der Dunkelheit fragen musste, ob es geradeaus oder rechts ab nach Guyave geht.

Andrew war selbst zu Fuß zum Fish Friday unterwegs, so dass es die ideale Lösung war, ihn gleich mitzunehmen. Das half nicht nur für die Navigation an jeder noch folgenden Abzweigung, sondern er gab mir auch Tipps an Engpässen – im Wesentlichen „bloß nicht stehen bleiben, immer Gas geben!“ – und er kannte die geeigneten Parklücken in Guyave.

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Guyave

In Guyave treffen sich jeden Freitag Abend viele Einheimische und einige Touristen aus der Umgebung und werden mit frisch gefangenem Fisch, Meeresfrüchten, Gemüse, Gebackenem und Getränken von Mangosaft bis Rum verwöhnt. Zwei, drei Straßen im Ort sind dann gefüllt mit Ständen, in denen gebraten, gekocht, gedünstet, Musik gemacht und geplaudert wird.

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Fish Friday in Guyave

Andrew ließ es sich nicht nehmen, mich bei einem abendlichen Verdauungsbummel durch seinen Heimatort zu führen. Besonders wichtig war ihm, mir das „Getto“ zu zeigen. Ob ich interessiert wäre? Was denn „Getto“ hieße, fragte ich. Da wären halt die ganz Armen, erwiderte er. Es war mir suspekt und ich antwortete, och nö, nicht wirklich. Wir gingen zum Hafen und zum Strand, und auf dem Rückweg nahm er eine andere Route, und die führte… durch das Getto. „Das ist das Getto!“, erläuterte er mit ausgebreiteten Armen als stünden wir vor dem Petersdom.

Während wir also durch die kleine Straße schlenderten, zeigte er links und rechts auf überquellende Mülltonnen, Schotterhaufen, bröckelnde Fassaden und Bretterhütten – entweder als wären wir in einer archäologischen Ausgrabungsstätte von unschätzbarem Wert oder um seine Geringschätzung der Getto-Zustände mit mir zu teilen. Auf den Treppen saßen Leute vor ihren Hütten und Andrew kannte sie offenbar alle und grüßte sie mit „Wess!“ mit langgezogenem zischendem „s“, ohne sich jedoch auf mehr Worte einzulassen. In seinem distanziert wirkenden Verhalten lag ein deutliches „Gut, dass ich nicht zu Euch gehöre!“, das sich am Ende der Getto-Straße, die wieder auf der Hauptstraße durch Guyave endete, bestätigte, als mich jemand um ein, zwei ostkaribische Dollar anbettelte und Andrew mich mit einem „No, no, no!“ und einer murmelnden Bemerkung „Betteln ist widerlich“ wegzog.

Dieser Getto-Besuch war recht bizarr und ich habe bis heute nicht richtig verstanden, warum ihm, der selbst gewiss nicht zu den Wohlhabenden gehörte, soviel daran lag, aber es mag einfach das Bedürfnis gewesen sein, mir ein Stück „authentisches“ Grenada abseits der Hauptattraktionen zu zeigen.

Eine dieser Hauptattraktionen – jedenfalls für die Menschen Grenadas – stammt aus Guyave, was mit einem großen Banner an einem der Gebäude der Hauptstraße unterstrichen wird. Es handelt sich um den berühmtesten Sportler Grenadas, den Leichtathleten Kirani James, der 2012 bei den Olympischen Spielen in London die Goldmedaille im 400m-Lauf gewann und damit die erste olympische Medaille für Grenada überhaupt.

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Kirani James, Grenadas einziger olympischer Medaillengewinner

„Wess!“, grüßte Andrew weiter alle Passanten auf dem Weg zurück zum Parkplatz. Was denn eigentlich „Wess“ hieße, wollte ich wissen. Es stünde für „Westerhall“ und für Kampf, nicht für Frieden, antwortete er, bevor er schnell das Thema wechselte. Ich verstand nichts – bis ich später ein wenig mehr über die amerikanische Invasion von 1983 gelesen hatte.

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Im Inselinneren auf der Straße zwischen Guyave und Grenville

Eines der ganz wenigen noch sichtbaren Zeugnisse dieser Invasion liegt an der Ostküste, die man über jene Straße quer durch das grüne Inselinnere erreichen kann, über die ich auch nach Guyave gekommen war. Sie endet im zweitgrößten Ort Grenadas, Grenville, der sich durch einen irrsinnigen Verkehr auf der Küstenhauptstraße auszeichnet, die den Ort durchschneidet.

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Grenville
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Old Church in Grenville

Am südlichen Ortsausgang von Grenville fällt die Old Church auf, eine katholische Kirche, deren Dach zwar auch von Hurrikan Ivan abgedeckt wurde, aber die sich schon viel länger in verfallenem Zustand befindet. Angeblich wurde sie schon Anfang des 20. Jahrhunderts aufgegeben, da sie damals von einem massiven Mosquito-Befall heimgesucht wurde. Restaurierungspläne gibt es seit 25 Jahren, aber man sagt, dass bewilligte EU-Gelder für das Projekt nie ihr Ziel erreicht haben und dass die Finanzbehörden heute noch in den Unterlagen suchen, wohin das Geld stattdessen gegangen sein könnte und ob es überhaupt je überwiesen wurde. In den Datenbanken der Finanzinstitutionen sei jedenfalls nichts nachzuweisen.

Etwas weiter nördlich von Grenville findet man dann den Pearls Airport, der bis 1984 Grenadas einziger Flughafen war, bevor er durch den heutigen Flughafen am Point Salines im Süden der Insel ersetzt wurde. Die Rollbahn wird heute gelegentlich als Go-Kart-Bahn genutzt – und ganz allgemein wird sie nach Lust und Laune als Abkürzung, Rennstrecke oder Zugang zu den am Rande weidenden Kühen und Ziegen befahren. Flugzeuge starten und landen hier jedenfalls nicht mehr.

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Pearls Airport

Aber am Rande auf der Wiese liegen sie herum. Genaugenommen sind es zwei Flugzeuge, die seit über 35 Jahren an dieser Stelle liegen. Dass es in irgendeiner Form eine Gedenkstätte ist, kann man kaum erahnen, denn kein Schild weist darauf hin, und man muss einen Reiseführer oder historische Quellen lesen, um zu erfahren, dass es sich um Überbleibsel der amerikanischen Invasion von 1983 handelt. Ich bin mir nicht sicher, ob man sich beschweren würde, wenn jemand eines Tages einfach so auf die Idee käme, die Schrotthaufen wegzuräumen, aber ich ahne, sie sind eine Form von historischen Denkmälern, die durch Gewohnheitsrecht geschützt sind. Sie waren schon immer da und jetzt ist es zu spät und moralisch geradezu verboten, sie wieder loszuwerden.

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Bei der Invasion 1983 beschädigte Flugzeugwracks am Pearls Airport

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Sieht man genauer hin, erkennt man auf der maroden Außenhaut der Flugzeuge so gerade noch Aufschriften wie „CCCP“, „AEROFLOT“ oder „CUBANA“. Es sind Flugzeuge russischer und kubanischer Herkunft, die während der Invasion beschädigt wurden und seitdem hier liegen.

Tatsächlich waren die Hinwendung Grenadas zu einer marxistischen Ideologie, wirtschaftliche Unterstützung durch Kuba und die Sowjetunion sowie schließlich der Bau des neuen größeren Flughafens, in dem einige der karibischen Nachbarländer Grenadas und die USA eine strategische Operationsbasis für den Aufbau eines zweiten Kuba zu wittern meinten, der Stein des Anstoßes für die Invasion von 1983.

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Unter dem Namen Operation Urgent Fury begannen die USA und alliierte karibische Streitkräfte am 25. Oktober eine Invasion in Grenada mit dem Ziel, die pro-kubanisch/-sowjetische Regierung zu stürzen und durch eine westlich orientierte Partei zu ersetzen.

Die Operation, die innerhalb von vier Tagen bei deutlicher militärischer Überlegenheit und geringem Widerstand zum Erfolg führte, wurde von den meisten Mitgliedsstaaten der UN als Völkerrechtsverletzung heftig kritisiert. Margaret Thatcher äußerte sich Präsident Ronald Reagan gegenüber stinksauer, weniger weil es sich um eine Völkerrechtsverletzung handelte, sondern weil er es ihr hätte überlassen müssen, Grenada als schwarzes Schaf des britischen Commonwealth zurechtzuweisen.

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Man findet Filmmaterial der Invasion, in dem amerikanische Soldaten erzählen, dass sie gar nicht so recht wüssten, warum sie auf Grenada seien, bis gestern keine Ahnung hatten, dass ein Land dieses Namens überhaupt existiert, geschweige denn, wo es liegt, und in dem die einheimische Bevölkerung sie recht freundlich mit Wasser und Früchten versorgt.

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Die Militäroperation, an der auf grenadischer Seite übrigens auch 16 deutsche Soldaten der damaligen DDR als „sozialistischem Bruder“ beteiligt waren, endete mit etwa 70 Toten auf grenadischer und kubanischer und etwa 20 Toten auf amerikanischer Seite. Die Meinungen dazu sind in Grenada geteilt, neigen aber heute eher dazu, die Invasion als eine Befreiung von einer drohenden Einschränkung demokratischer Rechte und Wahlen anzuerkennen. Diese offizielle Meinung kommt auch darin zu Ausdruck, dass Thanksgiving als Nationalfeiertag auf Grenada auf den 25. Oktober, den Tag der Invasion, gelegt wurde.

Gleichzeitig wurde aber auch der heutige Flughafen am Point Salines 2009 in Maurice Bishop Airport umbenannt, als Erinnerung an den charismatischen Gründer der sozialistischen Partei New Jewel Movement, der Grenada 1983 auf den kuba- und sowjet-freundlichen Kurs führte, breite Zustimmung in der Bevölkerung genoss und wenige Tage vor der Invasion von radikaleren Kräften seiner eigenen Partei ermordet wurde. Tatsächlich war diese mit Maurice Bishops Ermordung einhergehende Radikalisierung einer der offiziell genannten Gründe für das Eingreifen der USA.

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Vielleicht schlägt auch in Andrew und einigen seiner Mitbürger aus Guyave noch ein verstecktes sozialistisches Herz. Westerhall ist eine Halbinsel im Südosten Grenadas, auf der schon vor 1983 viele Anwesen von ausländischen Investoren gebaut und gekauft wurden. Das „Manifesto“ der New Jewel Movement forderte die Verstaatlichung aller ausländischen Hotels für den Aufbau einer Tourismus-Branche, die den Bürgern Grenadas und nicht internationalen Hotelkonzernen gehört. Westerhall ist ausdrücklich als ein Beispiel genannt. Wess!

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Ostküste in der Nähe des Pearls Airport

Ganz in der Nähe des Pearls Airport befindet sich der Pearls Beach, der laut Reiseführer als einer der schönsten Strände gilt. Aber das muss einige Zeit zurückliegen, denn der Strand ist in einem sehr heruntergekommenen und ungepflegten Zustand.

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Pearls Beach

Dabei stört weniger das Seegras, das vor allem an der Atlantikküste sehr verbreitet ist, als vielmehr Schutt- und Müllhaufen, die sich überall verteilt an der Küstenlinie finden.

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Blick auf den offenen Atlantik am Pearls Beach

Auf dem Weg die Ostküste entlang in Richtung Süden liegen hin und wieder verfallene Häuser, deren sich der Wald im Laufe der Zeit bemächtigt hat.

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Verfallenes Haus an der Ostküstenstraße

Ein weiterer der vielen Wasserfälle Grenadas befindet sich nur ein Stück von der Ostküste entfernt am Fuße eine Berges.

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Blick zur Ostküste auf dem Weg zu den Mount Carmel Waterfalls

Ein kurzer Waldweg führt von der Straße leicht den Berg hinauf zu den Mount Carmel Waterfalls. Der Zugang zu dem Weg ist nicht leicht zu finden, da er nicht ausgeschildert ist, aber es sind immer Einheimische in der Nähe, die einem den Beginn des Pfades zeigen.

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Mount Carmel Waterfalls

La Sagesse Beach ist tatsächlich einer der schönsten Strände Grenadas. Er liegt zwar an der wilden atlantischen Ostküste, ist aber in einer tief eingeschnittenen Bucht zwischen zwei bewaldeten Halbinseln vor dem heftigen Seegang geschützt.

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La Sagesse Beach

Das Anwesen, das an diesem Strand liegt, wurde in den 60-er Jahren von einem englischen Lord, einem Cousin von Königin Elizabeth, gekauft. Der Lord machte sich auf Grenada äußerst unbeliebt, als er den Zugang zum Strand, der bei der einheimischen Bevölkerung ein populärer Badestrand war, für die Öffentlichkeit absperrte und ihn als seinen Privatstrand betrachtete.

1975 ging Maurice Bishops New Jewel Movement zusammen mit der Bevölkerung der benachbarten Dörfer gegen die Absperrungen vor, beseitigte sie und besetzte das Haus des Lords, der zu der Zeit abwesend war.

Heute ist La Sagesse wieder, wie alle karibischen Strände, für alle frei zugänglich und es ist dort wie überall an Grenadas Küsten wunderbar entspannt und ganz und gar nicht überfüllt. Trotzdem, und es scheint völlig überflüssig zu sein, sind ein oder zwei Leute der „Beach Security“ dort unterwegs und freuen sich, wenn schon kein Verbrechen für Abwechslung sorgt, ein paar Worte mit den eher seltenen Gästen aus anderen Ländern wechseln zu können – über die europäische Flüchtlingsfrage, die Kanzlerin und Borussia Dortmund. Satelliten-TV in der kleinen Strandbaracke der Security und viel Zeit bildet!

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La Sagesse Beach

Ein Nachmittagsbad an diesem schönen Strand war mein letzter Stopp auf Grenada, bevor ich zum Flughafen weiterfuhr und mit einem Abendflug die Insel wechselte.

(Fotos vom Februar 2019)

 

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Grenada – Kakao, Gewürze und Rum

Abstecher in Grenadas Landwirtschaft und Industrie

In Grenada befinden sich eine Reihe kleiner Betriebe, in denen Kakao, Gewürze und Rum hergestellt werden. Es sind keine große Plantagen, die sich nur auf einen Teil der Produktionskette spezialisiert haben und dann das halbfertige Produkt zur Weiterverarbeitung in große Fabriken exportieren, sondern eher Familienbetriebe, die von der Ernte der Rohstoffe bis zum Verkauf der fertigen Ware an den Endkunden im eigenen Shop die ganze Herstellung unter einem Dach durchführen.

Zwei dieser Betriebe zur Herstellung von Kakaopulver und Schokolade finden sich nahe beieinander im Norden Grenadas – die Grenada Chocolate Company und das Belmont Estate.

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Eingang zum Belmont Estate
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Auf dem Gelände des Belmont Estate

Letzteres ist zwar auch eine Touristenattraktion, die neben der Herstellung von Schokolade einiges Drumherum auf dem weitläufigen eigenen Gelände zur Unterhaltung der Besucher anbietet, aber dennoch kann man auch hier während einer Führung die ganze Verarbeitungskette bis zur fertigen Schokolade beobachten.

Die folgenden Fotos sind teilweise in dem einen, teilweise dem anderen Betrieb gemacht.

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Kakaobaum mit Kakaofrüchten

Die ursprüngliche Herkunft des Kakaobaums sind die Regenwälder Südamerikas. Von dort wurde er aber in alle tropischen Länder Mittelamerikas, Afrikas und Asiens gebracht und wird dort hauptsächlich auf Plantagen angepflanzt.

Der Baum ist ein Unterholzgewächs, das sich nur auf Böden mit verrottendem Laub und vor allem im Schatten anderer größerer Bäume wohlfühlt, die man auch „Kakaomütter“ nennt. Das Prinzip, auch auf Plantagen den Kakaobaum nur in Kombination mit anderen schattenspendenden Gewächsen anzupflanzen, haben schon die Maya entdeckt und eingesetzt.

Der Baum treibt viele Tausende kleiner Blüten, von denen aber nur ein sehr geringer Teil bestäubt wird und sich zu einer vollen Kakaofrucht entwickelt, die am Stamm des Kakaobaums wächst und mit Macheten oder langen Lanzen für den oberen Bereich des Baums geerntet wird.

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Schattenspendende Pflanzen (hier Bananen), unter denen der Kakaobaum wächst

Von den zwei Hauptsorten des Kakao – Criollo und Forastero – ist der Criollo die ursprüngliche Sorte, die aus Südamerika stammt. Sie gilt als die bessere, geschmacksintensivere Art, aus der die meisten teureren Edelschokoladen hergestellt werden. Sie wird auch auf Grenada, wie auch auf den meisten karibischen Inseln und in Mittelamerika, angebaut.

Die etwa 20 Zentimeter lange Frucht wird aufgeschnitten, und in ihrem Inneren befinden sich dicht gepackt etwa 40 Samen von ca. zwei Zentimeter Größe, die von einem weißen weichen Fruchtfleisch umhüllt sind.

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Kakaofrucht mit den von weißem Fruchtfleisch umgebenen Kakaosamen

In manchen Ländern wird aus diesem Fruchtfleisch ein süß und fruchtig schmeckendes Getränk hergestellt. Man kann es auch von den Samenkernen im Inneren, den Kakaobohnen, die härter sind und schon eine leicht bräunliche Farbe haben, lutschen und wird dabei schon einen milden Kakaogeschmack bemerken, der aber noch weit vom intensiven Geschmack des späteren Produkts entfernt ist.

Der erste Schritt der weiteren Verarbeitung der Kakaobohnen ist die Fermentation. Dazu werden die Samen mitsamt dem weißen Fruchfleisch aus der Schale gelöst und in Holztröge gegeben, die im Belmont Estate wie eine Reihe kleiner Holzställe aussehen.

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Fermentierungshalle

Die Samen werden dann mit Blättern – meist sind es Bananenblätter – zugedeckt und für etwa fünf Tage sich selbst überlassen. Gelegentlich werden die Blätter angehoben und die Bohnen werden neu durchgemischt.

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Fermentierung der Kakaosamen unter Bananenblättern

Die natürliche karibische Wärme treibt den Fermentationsprozess an, und unter der Blätterdecke entwickeln sich mit weit über 50 Grad Saunatemperaturen. Das Fruchtfleisch gärt dabei zu Alkohol und Essig und löst sich langsam von den Bohnen, die selbst kurz keimen, aber durch die große Wärme kurz darauf wieder absterben.

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Kakaosamen, von denen sich während der Fermentierung inzwischen das weiße Fruchtfleisch gelöst hat
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Trocknungshalle

Nach dem Fermentieren enthalten die Kakaobohnen noch zu viel Feuchtigkeit. Um sie haltbar zu machen und vor Schimmelbefall zu schützen, müssen die Bohnen im nächsten Schritt getrocknet werden. Das Trocknen der Bohnen erfolgt entweder natürlich unter der Sonne oder indem man mit Treibhäusern und heißer Luft nachhilft. Dementsprechend dauert das Trocknen zwischen zwei Tagen und zwei Wochen.

Damit jede Bohne genug Wärme für den Trocknungsprozess erhält, wird der flach ausgelegte Bohnenteppich mehrfach am Tag umgerührt – entweder mit einfachen Hilfsmitteln…

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Trocknung der Kakaobohnen

…oder indem eher traditional ein kleines Tänzchen auf den Kakaobohnen aufgeführt wird. Die im Freien getrockneten Bohnen werden – vor allem in der Karibik, wo gelegentliche heftige Regenschauer niedergehen können, – auf Tischen ausgebreitet, die auf Schienen und Rollen gelagert sind und damit im Falle eines Falles schnell unter ein schützendes Regendach geschoben werden können.

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Trocknung im Freien

Nach dem Trocknen hat die Kakaobohne eine kräftigere braune Farbe angenommen und der Kakaogeschmack ist schon etwas intensiver geworden.

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Getrocknete Kakaobohnen

Die Bohnen haben begonnen, in kleinere spröde Splitter zu zerbrechen, die noch von einer dünnen harten Schale umgeben sind.

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Einzelne Kakaobohne nach der Trocknung

Um das volle Kakaoaroma zu entfalten und die Trocknung noch weiter zu treiben, werden die Bohnen nun bei über 100 Grad geröstet. Die Röstung ist manchmal mit dem Aufbrechen der Schalen kombiniert; die Schalen der Kakaobohnen werden dabei zwischen Walzen zerbrochen und mit strömender Luft vom eigentlichen Kakaobohnenkern weggeblasen.

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Kakaoröster, über 50 Jahre alt und aus Deutschland stammend

Das Ergebnis sind viele kleine Kakaosplitter, der sogenannte Kakaobruch, die anschließend zwischen Walzen gemahlen werden und sich dabei durch die Reibungswärme verflüssigen. Gleichzeitig werden durch die mechanische Beanspruchung und die Wärme die Zellwände der Kakaostücke zerrissen und die Kakaobutter, das eigene Fett des Kakaos, tritt aus und vermischt sich mit dem flüssigen Kakao.

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Mahlen des Kakaobruchs nach der Röstung. Die aus den Zellen gepresste Kakaobutter und die Reibungswärme verflüssigen die ganze Kakaomasse.

Die Kakaobutter, die immerhin etwa 50% der ganzen Masse ausmacht, kann größtenteils durch ein Sieb aus der Kakaomasse herausgepresst werden. Sie wird für die Herstellung weißer Schokolade oder auch in kosmetischen und pharmazeutischen Produkten verwendet.

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Kakaobutter

Übrig bleibt der Kakaopresskuchen, der zu Kakaopulver zermahlen oder durch Mischung mit anderen Zutaten zu Schokolade verarbeitet wird.

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Fertiges Kakaopulver und Schokolade zum Verkauf

Eine Spezialität auf Grenada ist die Verwendung von Muskat in einigen Schokoladensorten. Grenada ist neben Indonesien weltweit der größte Exporteur von Muskatnuss, die das wichtigste Wirtschaftsgut des Landes ist.

Die Muskatnuss wächst an Bäumen und die Früchte, welche den Kern – die eigentliche Nuss – einhüllen, sehen Aprikosen recht ähnlich. Der Kern ist von einem roten Geflecht, dem Samenmantel, umgeben, der auch „Macis“ oder „Muskatblüte“ genannt wird.

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Muskatnuss

Macis wird ebenso wie die Nuss als Gewürz verarbeitet, hat aber einen weniger intensiven Geschmack als die abgeriebene Nuss. Selbst das orange Fruchtfleisch wird zum Beispiel für Gelees und Marmelade genutzt und hat einen noch milderen Muskatgeschmack.

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Macis, der Samenmantel des Muskatnusskerns

Es gibt mehrere Verarbeitungsbetriebe für Muskatnuss auf Grenada, eine der größten ist die Grenada Co-operative Nutmeg Association in Guyave, an der ich leider nur am späteren Abend vorbeigefahren bin, ohne sie besichtigen zu können.

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Grenada Co-operative Nutmeg Association, ein Verarbeitungsbetrieb für Muskatnuss in Guyave
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Zimtbaum

Ein weiteres Gewürz, das eine große Rolle auf Grenada spielt und das der Insel zusammen mit der Muskatnuss zum Zusatznamen „Gewürzinsel“ verholfen hat, ist Zimt.

Zumindest unter allen karibischen und sogar allen Ländern des amerikanischen Doppelkontintents ist Grenada der führende Zimtexporteur, wird aber von einigen asiatischen Ländern wie Indonesien und China um mehr als das tausendfache der Exportmenge übertroffen.

Zimt ist im Wesentlichen einfach die getrocknete Rinde des Zimtbaums. Sie wird in Handarbeit abgeschält und in längeren Stangen mehrschichtig zusammengerollt. Nach der Trocknung werden die Zimtstangen entweder so wie sie sind oder in zerriebener Form in den Handel gebracht.

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Zimt ist die abgeschälte Rinde des Zimtbaums

Bricht man die Blätter des Zimtbaums durch, so entfaltet schon der Pflanzensaft an der Bruchstelle ein intensives Zimtaroma.

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Zimtblatt

Ein paar Kilometer weiter östlich vom Belmont Estate und fast an der Atlantikküste liegt die River Antoine Rum Distillery, eine von mehreren Rumdestillerien auf Grenada, die aber von sich behauptet, nicht nur die älteste auf Grenada, sondern mit ihrer Gründung im Jahre 1785 sogar die älteste der ganzen Karibik zu sein. Nun ja, ich habe eine Flasche Rum von einer Destillerie auf Barbados, auf deren Label behauptet wird, sie sei die älteste der Welt.

Wie dem auch sei, die River Antoine Distillery ist ziemlich alt – und jedenfalls die älteste auf Grenada – und vor allem wird in ihr fast noch so produziert wie vor 200 Jahren.

Es beginnt mit einem See, dem Lake Antoine, der weniger als einen Kilometer entfernt liegt und der Destillerie gehört, so jedenfalls die Aussage des Tourguides. Der kleine versteckte See ist neben dem Grand Etang Lake der zweite Kratersee Grenadas.

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Lake Antoine

Sein Wasser ist aber nicht, wie bei der Bierherstellung, Teil des endgültigen Rumgetränks, sondern dient nur dem Antrieb eines Wasserrads, das sich auf dem Gelände der etwas tiefer liegenden Destillerie befindet. Es soll, nach Aussage der Destillerie, die älteste Wassermühle der Karibik sein, die noch in Betrieb ist, eine Behauptung, die ich nicht ohne Argwohn mal so stehen lasse.

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Wassermühle zum Antrieb der Zuckerrohrpresse
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Zuckerrohrpresse

Jedenfalls funktioniert die Mühle, ist schön anzuschauen und erfüllt den für den ganzen Produktionsprozess grundlegenden Zweck, über verbundene Zahnräder und Wellen eine Presse anzutreiben.

Ausgepresst wird hier Zuckerrohr, denn im Wesentlichen ist Rum gegorener und hochdestillierter Zuckersaft.

Zuckerrohr wächst in etwa drei bis sechs Meter hohen Stangen. Der Ursprung der Zuckerrohrpflanze liegt nicht in der Karibik, sondern in Ostasien, wo sie schon im 5. Jahrhundert v. Chr. als Nutzpflanze kultiviert wurde. Aber bereits Christoph Kolumbus brachte 1493 die Pflanze mit in die Karibik, wo sie sich schnell ausgebreitet hat.

Der Rohrzucker wurde schnell zum wichtigsten Anbau- und Exportprodukt der Karibik und war nicht zuletzt ein Treiber für den Handel von Sklaven, die für die Ernte und Verarbeitung von Zuckerrohr von Westafrika in die Karibikkolonien der europäischen Seemächte verschleppt wurden.

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Zuckerrohr auf dem Weg in die Presse

Trotz der Fokussierung der Karibik auf die Zuckerproduktion blieb das Produkt in den frühen Jahren für den europäischen Normalverbraucher ein unerschwingliches Luxusgut, bis sich mit der Züchtung der Zuckerrübe eine alternative und auch im kühlen Europa anbaufähige Zuckerquelle auftat.

In der River Antoine Rum Distillery wird das geerntete Zuckerrohr über ein Förderband in großen Mengen der Presse zugeführt. Neben dem Zuckersaft bleibt dabei das faserige Stroh der Zuckerrohrpflanze, die sogenannte Bagasse, zurück, die etwa ein Drittel der ursprünglichen Masse ausmacht.

Die Bagasse wird auf Halden auf dem Gelände der Brennerei gebracht und ist keinesfalls nutzloser Abfall. Sie kann nach Vermischung mit anderen Produkten als Viehfutter verwendet werden oder man kann Pappe und Baumaterialien aus ihr fertigen.

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Bagasse, die Reste des ausgepressten Zuckerrohrs
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Ausgepresster Zuckersaft

In den Rumbrennereien ist die wichtigste Verwendung der Bagasse jedoch einfach ihre Verbrennung als Energielieferant für das Einkochen des Zuckersafts und für den späteren Destillationsprozess.

Der Zuckersaft fließt aus der Presse ab und wird großen Behältern zugeführt. Beim sogenannten Rhum Agricole, der hauptsächlich auf den französischen Karabikinseln wie Martinique und Guadeloupe produziert wird, wird dieser Saft sofort der Gärung und Destillation zugeführt.

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Kochen des Zuckersafts zur Herstellung von Melasse

In praktisch allen anderen Ländern, unter anderem eben auch Grenada, erfolgt jedoch noch ein Zwischenschritt, bei dem der Zuckersaft langsam eingekocht und ihm dabei das Wasser entzogen wird.

Der Vorgang startet in einem Kessel bei niedrigen Temperaturen und geht dabei über mehrere immer wärmer werdende Kessel zu einem heißen Kessel über. Der Saft wird dabei mühsam von Hand mit großen Schöpfkellen von einem Behälter zum nächsten befördert. Dieser langsame Kochprozess ist wichtig, um zu verhindern, dass der Zucker karamellisiert und damit ein unerwünschtes Röstaroma annimmt.

Das Ergebnis dieses Kochprozesses ist Melasse, ein dickflüssiger Sirup, der auch industriell hergestellt wird und für verschiedene Zwecke, zum Beispiel als Futtermittel in der Viehwirtschaft, eingesetzt werden kann.

Bei der Rumherstellung ist Melasse der Ausgangspunkt des Fermentations- oder Gärungsprozesses. In der River Antoine Distillery wird die eingekochte Flüssigkeit dazu in große Betonbottiche gebracht, wo sie über einen Zeitraum von ein paar Tagen bis zu zwei Wochen die alkoholische Gärung durchläuft.

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Fermentierung (alkoholische Gärung) der Melasse

Bei den ablaufenden biochemischen Prozessen dieser natürlichen Fermentierung wandeln Hefeorganismen den Zucker der Flüssigkeit in Alkohol und Kohlendioxid um. Die Fermentierung ist der entscheidende Vorgang der ganzen Rumproduktion und die Feinheiten dieses Prozesses, der in den verschiedenen Brennereien unterschiedlich gesteuert und beeinflusst wird, entscheiden über die eigene Handschrift des späteren fertigen Rums.

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Gärung der Melasse in offenen Tanks

Der gegorene Zuckerwein hat erst nur einen niedrigen Alkoholgehalt von knapp 5% und wird nun destilliert. Dabei wird der leichtflüchtigere Alkohol verdampft und vom Restwasser getrennt, bevor er auf der anderen Seite eines Kolbens wieder kondensiert. Im Ergebnis ist der Alkoholgehalt danach auf etwa 75% gestiegen.

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Destillation zum endgültigen weißen Rum

Der Alkoholgehalt des Rums wird abschließend streng überprüft. Traditionell produziert die River Antoine Rum Distillery einen Rum mit 75% Alkoholgehalt. Jedoch gibt es seit einigen Jahren insbesondere für Touristen, die eine Flasche Rum in die Heimat mitnehmen möchten, eine Variante mit 69% Alkohol, da alkoholische Getränke mit 70% und mehr als brennbare Flüssigkeiten nicht mehr in Flugzeugen mitgeführt werden dürfen.

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Messung des Alkoholgehalts

Der größte Teil der Produktion aus der Brennerei wird jedoch als weißer Rum an den heimischen Markt in Grenada verkauft. Die meisten Rumbrennereien in der Karibik unterziehen den Rum danach noch einem Reifungsprozess, bei dem er mehrere Jahre, teilweise bis zu 25 Jahre, in Fässern ausgebaut wird. Es werden in der Regel Eichenfässer verwendet, die zuvor schon für andere Zwecke wie die Herstellung von Whiskey, Bourbon oder Cognac genutzt wurden. Der Rum nimmt damit – und auch durch Mischung verschiedener Sorten und Jahrgänge – seinen ganz eigenen Geschmack und neue Farbnuancen an. Aus dem weißen Rum ist damit brauner Rum geworden.

(Fotos vom Februar 2019)

 

Grenada – Im Norden der Insel

Wasserfälle, Küsten und warme Quellen

Der nördliche Teil Grenadas ist ruhiger und weit weniger von Touristen besucht als der Süden. Er kann gleichermaßen gut über die Westküstenstraße oder die Hauptstraße, die näher zur Ostküste verläuft, erreicht werden.

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Concord Falls

Entlang der Westküste, der weniger windigen Karibikseite, reihen sich nördlich von St. George’s mehrere Orte aneinander. In Concord zweigt eine sehr schmale Straße ins Inselinnere ab, die zu den Concord-Wasserfällen führt.

Sie bestehen aus insgesamt drei Kaskaden, von denen aber nur die erste über die Straße zu erreichen ist. Die anderen beiden erfordern eine als recht schwierig geltende Wanderung durch den Urwald.

Dementsprechend haben sich am Ende der Straße neben dem ersten der Wasserfälle ein paar Souvenirstände etabliert, die vor allem auf die Ausflugsgäste warten, die mit Minibussen von den Kreuzfahrtschiffen hierher gebracht werden.

Einer der Souvenirverkäufer war sehr freundlich; er zeigte mir den – absolut nicht zu übersehenden – Weg eine Treppe hinunter zum Pool des Wasserfalls und kündigte vorausschauend an, dass wir uns bei meiner Rückkehr dann einmal ernsthaft über die Auslage seines Souvenirshops unterhalten müssten.

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Concord Falls

Seiner Erfahrung nach seien die deutschen Touristen geizig, sagte er – französischen Touristen sagt er gewiss, dass die französischen Touristen seiner Erfahrung nach geizig seien. Ich habe dann einen Kugelschreiber aus heimischem Mahagoni-Holz gekauft, handgebohrt – er wurde nicht müde, den Aufwand dafür zu betonen – und krumm – das lässt ihn wie ein Naturprodukt erscheinen -, aber dann durch eine dazugekaufte billige Mine und eine weder farblich noch mechanisch passende Plastikkappe ästhetisch vollständig ruiniert. Ich bin mir heute nicht einmal mehr sicher, ob nicht auch das Mahagoni-Holz ein Imitat ist.

Die Straße verläuft größtenteils direkt an der Küste, und da umso weniger Verkehr herrscht, je weiter man nach Norden kommt, ergeben sich jetzt mehr Gelegenheiten, einfach am Straßenrand anzuhalten und ein paar Fotos zu schießen.

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An der Nordwestküste Grenadas

Oder einen Schnappschuss aus dem fahrenden Auto über die manchmal fast leeren Straßen in Gouyave oder Victoria zu machen.

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Unterwegs durch die Orte an der Westküste

Vor der Duquesne Bay biegt die Straße von der Küste ins Landesinnere ab. Es wird wieder etwas belebter, je näher man Sauteurs, dem Hauptort an der Nordküste, kommt. Die nicht-existente Beschilderung an Straßenkreuzungen lädt wieder herzlich zum Durchfragen ein, wobei die Meinungen über den richtigen Weg manchmal geteilt waren.

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Duquesne Bay

Mit ein wenig Zickzack-Fahren gelang es mir aber dann, die ausgedehnte Sauteurs Bay ganz im Norden Grenadas zu erreichen.

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Nordküste Grenadas

Hier oben treffen die karibische See und der offene Atlantik aufeinander und das Meer ist erheblich rauer als an der Westküste. Ich habe dort nie jemanden baden gesehen, obwohl es lange, wenn auch nicht ganz von Seegras freie Strände gibt. Aber selbst an ruhigen Tagen ist der Seegang nicht zu unterschätzen und die Strömungen sind nicht ungefährlich. Man solle schon ein sehr sicherer Schwimmer sein, wenn man sich hineinwagen wolle, sagte man mir, und eine Strandaufsicht gibt es nicht, also alles auf eigene Gefahr.

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Blick auf Ronde Island, Caille Island, Carriacou und die Grenadinen

Wie das Meer an der Nordküste in der Hurrikan-geplagten Region an weniger ruhigen Tagen abgehen kann, darauf wird mit nicht zu übersehenden Schildern an den Stränden deutlich hingewiesen.

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An Grenadas Nordküste

An Kreuzungen nahe der Nordküste findet man zudem häufig „Tsunami-Fluchtwegweiser“, die, wie man wohl erwarten würde, meistens bergauf auf die umliegenden Hügel führen.

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Nordküste

Blickt man über das Meer in Richtung Norden, sieht man deutlich ein paar kleinere unbewohnte Inseln, Ronde Island und Caille Island, sowie in zweiter Linie dahinter das größere bewohnte Carriacou, das noch zu Grenada gehört. Die dritte bewohnte Insel auf Grenadas Territorium, Petite Martinique, liegt noch hinter Carriacou und ist nicht zu sehen. Bei guter Sicht ist auch Union Island, die südlichste Grenadineninsel, die schon zu St. Vincent gehört, zu erkennen und bei noch besserer Sicht die etwa 120 Kilometer entfernte Hauptinsel St. Vincent selbst.

Sauteurs ist mit etwa 1300 Einwohnern der größte Ort an der Nordküste und er ist, wie französische Ortsnamen auf Grenada oft nahelegen, geschichtsträchtig.

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Katholische Kirche von Sauteurs

Hinter der katholischen Kirche von Sauteurs, die im Ort auf einem Hügel steht, befindet sich ein Friedhof und ein Denkmal auf den steil ins Meer abfallenden Klippen des Hügels.

Der Ort wird Morne des Sauteurs oder Leapers Hill, der „Hügel der Springer“, genannt, nach einem Vorfall, der sich hier 1651 zugetragen haben soll, als die letzten Kariben, die Ureinwohner Grenadas und der anderen ostkaribischen Inseln, sich hier in den letzten Winkel zurückzogen und schließlich selbst von den Klippen stürzten, um der Gefangennahme und Ermordung durch die sie verfolgenden französischen Kolonialherren zu entgehen.

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Friedhof am Leapers Hill in Sauteurs

Aber der Hügel verkörpert nicht nur einen Teil von Grenadas Geschichte, sondern ist auch ein schöner Aussichtspunkt mit Blick auf die Sauteurs Bay und einen Teil des Ortes.

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Sauteurs Bay und Sauteurs
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Bathway Beach

Der beliebteste Badestrand im Norden Grenadas ist der Bathway Beach. Er liegt an der Ostküste und damit der windigeren Atlantikseite, aber ein paar vorgelagerte wellenbrechende Felsen verwandeln den Teil zwischen Strand und Felsen in eine Art langgestreckten breiten Meerespool, in dem die See ruhiger und damit zum Baden geeignet ist.

Der breite Strand hat eine Reihe von schattenspendenden Bäumen, die einen längeren Aufenthalt angenehm machen. Hier entspannen sich viel mehr Einheimische als Touristen und wie fast überall auf Grenada ist dieser Strand ganz und gar nicht überfüllt.

Am Südende des Strandes findet sich in geradezu idealer Lage ein verfallenes Haus.

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Unbewohnte Ruine am Bathway Beach

Man kann nur spekulieren, warum es verlassen wurde und daraus nicht mehr gemacht wird. Aber möglicherweise ist die Lage direkt am Atlantikstrand in der Hurrikan-Saison einfach lebensgefährlich und auch der Zustand dieses Hauses ist das Werk Ivans, des schwersten Sturms der letzten Jahrzehnte auf Grenada.

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Ruine am Bathway Beach

Im Hinterland und weiter nördlich des Bathway Beach befindet sich der Levera National Park, der sich durch ein geschütztes Mangroven- und Feuchtgebiet auszeichnet.

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Eingang zum Levera National Park

Am Nordrand gehört der Levera Beach noch zum Park. Der Strand ist ein Eiablageplatz der streng geschützten großen Lederrückenschildkröten. Diese ausgewachsen fast eine Tonne schweren Schildkröten kommen weltweit in tropischen und subtropischen Regionen, teilweise auch in gemäßigten Zonen, vor, und es sind nur etwa 65 Nistplätze wie der Levera Beach auf der ganzen Welt bekannt; die meisten davon sind Karibikstrände, aber es gibt ebenso Nistplätze an den afrikanischen Küsten und im indischen und pazifischen Ozean.

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Levera Beach mit Sugar Loaf Island im Hintergrund
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Am Levera Beach

Vom Levera Beach aus sieht man die kleine, direkt vor der Küste liegende Insel Sugar Loaf Island. Ein einziges Haus befindet sich auf ihr und man kann es tatsächlich als Ferienunterkunft mieten (für ca. 2000 € pro Woche für bis zu 8 Personen hat man eine ganze Insel für sich), aber es gibt dort sonst nichts, es ist einfach ausgestattet und für Selbstversorger, und es gibt keinen regulären Fährverkehr.

Ebenfalls im Norden vor der östlichen Atlantikküste sieht man noch Sandy Island. Auch dort befindet sich genau ein Haus, ich glaube unbewohnt, aber hier kann man gleich die ganze Insel kaufen (oder konnte man, vielleicht ist sie inzwischen verkauft).

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Sandy Island vor der Nordostküste Grenadas
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Brücke zum Levera Pond

Im Zentrum des kleinen Levera National Park befindet sich der Levera Pond, ein See inmitten der umgebenden Waldlandschaft. Ein kurzer Weg führt von der Schotterpiste, die durch den Park verläuft, zum See.

Die Stille am See wird nur gelegentlich von den Rufen exotischer Vögel und von knisternden Geräuschen im Gehölz unterbrochen. Kaum jemand verirrt sich hierhin, obwohl die neu aussehende Holzbrücke über die Mangrovensümpfe zu einem kleinen Aussichtsturm am Ufer des Sees den Zugang eigentlich einfach macht.

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Levera Pond

Ein noch lebendiges Zeugnis der vulkanischen Vergangenheit Grenadas sind die River Sallée Boiling Springs, eine Handvoll warmer mineralischer Quellen, die sich auf dem Gelände eines Bauernhofs befinden.

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Gelände der River Sallée Boiling Springs
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River Sallée Boiling Springs

Die schwefelhaltigen Wassertümpel sollen eine wohltuende und heilende Wirkung bei Gelenk- und Hautkrankheiten haben. Aber es kann schon einige Überwindung kosten, in die braungelbe undurchsichtige Brühe zu springen.

Zu finden waren die Quellen mittels Schildern so gut wie gar nicht. Wie so oft auf Grenada half nur ein schrittweises und dem Ziel langsam näherkommendes Durchfragen.

An der Antoine Bay ist eine der wenigen Stellen der Ostküste, an denen die Straße direkt an der Küste verläuft. Wie die meisten Küstenstreifen an der Atlantikseite Grenadas ist die Antoine Bay zum Baden ungeeignet, zu heftig ist hier die Brandung und zu gefährlich sind die Strömungen.

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Antoine Bay

Die Palmen, welche den Strand säumen, sehen dort vom ständigen Atlantikwind recht zerzaust aus.

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Atlantikküstenstraße an der Antoine Bay
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Kokospalme

Dennoch halten sich viele Kokosnüsse lange in den Palmen, bevor sie irgendwann unweigerlich hinabfallen.

Es wird davon abgeraten, Schatten unter Kokospalmen zu suchen oder sein Auto dort zu parken. Eine Begegnung mit einer Kokosnuss, die einen Fall aus 20 Metern Höhe hinter sich hat, kann mit Gehirnerschütterung oder gar tödlich enden.

Palmen sind mit einer breiten Wurzelbasis fest im Boden verankert, aber sie haben für ihre Höhe einen auffallend dünnen Baumstamm. Jedoch ist es gerade die Biegsamkeit dieser dünnen Stämme, welche Palmen auch schwerste Stürme überstehen lässt. Sie legen sich mit ihrer Baumkrone in den Wind und klappen einfach wieder hoch, wenn alles vorbei ist.

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(Fotos vom Januar 2019)

 

Grenada – St. George’s

Ausflug in Grenadas Hauptstadt

St. George’s ist ein kleines Städtchen mit gerade einmal 7000 Einwohnern und etwa 35000 in ihrem „Großraum“ – und trotzdem hat sie den gleichen politischen Status wie eine Multimillionen-Metropole wie Tokio: Sie ist die Hauptstadt eines Staates. Sie liegt im Südwesten Grenadas an der Karibikküste nur zwei, drei Kilometer nördlich des Grand Anse Beach. Mit ihrer Lage an den Hängen oberhalb eines zweiteiligen Naturhafens gilt sie als eine der schönsten Städte der Karibik.

Kommt man von Süden, trifft man zunächst auf den ersten, größeren Teil dieses Hafens, The Lagoon genannt. Er dient im Wesentlichen als Yachthafen, in dem viele Segeltörns durch die ostkaribische Inselwelt starten oder enden.

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The Lagoon, eines der zwei Hafenbecken von St. George’s
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The Lagoon

Kurz darauf und vorbei an einem kleinen Gelände mit Frachtanlagen erreicht man auch schon den zweiten Teil, den Hafen Carenage, um den die Straße wie ein U verläuft.

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The Carenage, das zweite Hafenbecken

Carenage ist sicherlich der charakteristischere Teil, welcher das Bild von St. George’s wesentlich bestimmt.

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The Carenage

Vom inneren Teil des Hafens sieht man über die Bucht den Grand Anse Beach in der Ferne und zur Rechten auf dem Hügel einer Landzunge, die den Hafen umfasst, das Fort George.

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Blick über den Hafenausgang Carenage, rechts auf dem Hügel das Fort George

Der Weg führt entlang der Hafenpromenade und dann am Ende in wenigen Kehren über den Dächern der Häuser am Hafen zu dieser alten Festung hinauf.

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Dächer über der Carenage

Der Bau dieses Forts wurde wenige Jahre nach der Gründung von St. George’s und der Kolonisierung Grenadas im Jahre 1650 durch die Franzosen begonnen, zunächst unter dem Namen Fort Royale. Die Stadt trug entsprechend ursprünglich den Namen Ville de Fort Royal. Als die Insel 1763 in britische Hände überging, wurde die Festung in Fort George und die Stadt in St. George’s umbenannt, dem Namen des damaligen britischen Königs George III. folgend.

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Fort George

Der Ort erinnert wenig an eine historische Stätte, sondern eher an ein Ruinengelände, um dessen Restaurierung und Instandhaltung man sich kaum bemüht.

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Innenhof im Fort George
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Wachturm auf dem Fort George

Der zentrale Exerzierplatz ist ein Basketballfeld geworden und in einem der Gebäude ist ein Fitnessstudio untergebracht. Mehrere der Gebäude werden von der Stadtpolizei genutzt, die hin und wieder durch die Festungsanlage bummelt.

Die meisten der Gebäude sind völlige Ruinen, die dem endgültigen Verfall bedenklich nahe zu sein scheinen, was nichtsdestotrotz seinen besonderen Reiz hat.

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Ruinen im Fort George

Das Beste an Fort George ist die Aussicht, die sich von hier in alle Himmelsrichtungen bietet.

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Blick über The Carenage

Beide Hafenbecken, Carenage und The Lagoon, sind von hier zu überblicken.

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Blick über The Lagoon

In Richtung Süden blickt man über die Grand Anse Bay mit dem langgezogenen Strand auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht.

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Blick in Richtung Süden vom Fort George aus, Grand Anse Beach auf der anderen Seite

Und ein Stück weiter westlich ist die Südwestspitze der Insel zu sehen.

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Blick nach Südwesten über die Karibische See

In Richtung Norden hat man einen guten Blick über den Hauptteil von St. George’s und die Westküste der Insel.

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Blick nach Norden entlang der Westküste

Beim Blick über die Kolonialarchitektur der Stadt fällt ganz in der Nähe ein Kirchturm auf.

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St. George’s „Zentrum“
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St. Andrews, von Hurrikan Ivan zerstört

Es handelt sich um die Presbyterianische Kirche St. Andrews – oder was von ihr übriggeblieben ist.

Dieser Zustand ist das Ergebnis eines des verheerendsten Hurrikane, der Grenada je getroffen hat, Hurrikan Ivan im Jahre 2004. Entstanden über den Kapverdischen Inseln sammelte dieser Wirbelsturm Energie auf seinem Weg über den Atlantik und traf dann Grenada mit voller Wucht. Damals wurden 85 % aller Gebäude auf Grenada völlig zerstört, etwa 40 Menschen kamen ums Leben und es entstand ein Schaden von 1 Milliarde Dollar, für das kleine Land eine ökonomische Katastrophe.

Spuren und Geschichten über diesen Wirbelsturm begegnen einem auf Grenada allerorts. Die meisten Gebäude wurden wieder aufgebaut, aber für diese Kirche hatte man entweder kein Geld oder vielleicht hatte man Angst vor dem nächsten Wirbelsturm. So steht sie jetzt in der Hauptstadt als Erinnerung an die unkontrollierbaren Naturgewalten, welche die Region jederzeit treffen können.

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Sendall-Tunnel

Die Kirche liegt auf einem Hügel, der die beiden Teile von St. George’s voneinander trennt. Der schnellste Weg zwischen den beiden Teilen verläuft nicht über den Hügel, sondern durch einen kurzen kaum mehr als 100 Meter langen und sehr engen Tunnel, durch den auch der Autoverkehr zwischen Süden und Norden der Insel gequetscht wird.

Der Sendall-Tunnel existiert schon seit weit über 100 Jahren und er ist ein kombinierter Auto- und Fußgängertunnel – ohne Trennung von Fahr- und Fußgängerspuren und ohne Lüftung. Ihn zu durchqueren, ist ein Abenteuer für Leib und Lunge.

Auf der anderen Seite befindet sich der größere Teil der Stadt. Hier ist das Parlamentsgebäude, Banken und andere offizielle Behörden und das Einkaufsviertel mit dem Markt als zentralem Treffpunkt von St. George’s.

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Markt von St. George’s
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Blick zum Kreuzfahrtterminal

Am Ufer dieses Stadtteils befindet sich auch der einzige größere Fähranleger, der auf die Abmessungen und den Tiefgang von Kreuzfahrtschiffen ausgelegt ist.

Eines dieser Schiffe legt beinahe täglich morgens an und verlässt die Insel am Abend wieder. Die Touristen verteilen sich in der Regel bei Ausflügen über die ganze Insel, so dass sie in St. George’s nicht besonders auffallen. Man mischt sich dort viel mehr unter die Einheimischen als unter andere Besucher.

Die Hauptstraße, die durch den Sendall-Tunnel verläuft, folgt danach der Westküste in den Norden Grenadas. Das war auch mein Ziel für die nächsten Tage auf der Insel.

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Westküste in Richtung Norden

(Fotos vom Januar 2019)

 

Grenada – Grand Etang Nationalpark

Ein Stück Urwald auf Grenada

Als ich mich von der Küste auf den Weg zum Grand Etang Nationalpark auf Grenada machte, verschränkten die Einheimischen im Hotel die Arme vor der Brust und spielten mir ein zitterndes Frösteln vor: „So kalt dort!“

Ich konnte es nicht glauben, liegt doch der Park gerade einmal in der relativ harmlosen Mittelgebirgshöhe von 500 bis 600 Metern. Ja, ein paar Grad kühler als an der Küste Grenadas ist es schon, aber es bleibt immer noch bei gefühlten hochsommerlichen Temperaturen, selbst im karibischen Winter. Es gibt wahrscheinlich doch einfach ein unterschiedliches Temperaturempfinden zwischen Einheimischen und mitteleuropäischen Touristen.

Viel größer als die Temperaturdifferenz zwischen Küste und dem Grand Etang im Inselinneren ist allerdings der Unterschied in der Luftfeuchtigkeit, recht häufig jedenfalls – wenn tropische Regen über den dichten Wäldern niedergehen und bleiche Nebelbänke und dicke Wolken die Berggipfel verhüllen. Dem ist zu verdanken, dass Grenada viel Süßwasser, Flüsse und zahlreiche Wasserfälle hat.

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Am höchsten Punkt der Straße zum Grand Etang Nationalpark

Manchmal ist der Himmel über dem Grand Etang aber auch wolkenlos – wie an dem Tag, als ich dort war.

Die Straße, die von der Hauptstadt St. George’s die Berge ins Landesinnere hinauf- und dann in Richtung Ostküste zu Grenadas zweitgrößtem Ort Grenville wieder hinabführt, ist eine der besser ausgebauten Straßen der ganzen Insel. Das ist aber nur relativ gemeint; frei von teilweise haarsträubenden Schlaglöchern ist auch diese Straße nicht, geschweige denn von engen Kurven und steilen Abschnitten.

Zumindest aber – was auf Grenada nicht selbstverständlich ist – ist der Nationalpark nicht zu übersehen, dessen Besucherzentrum und einige Parkplätze sich direkt am höchsten Punkt der Straße befinden.

Die Frage übrigens, wie man „Grand Etang“ ausspricht, lässt sich anscheinend nicht klar beantworten. Obwohl es eindeutig französisch ist und auch von vielen so ausgesprochen wird, gab es auch manche, welche die englische Aussprache bevorzugten. Ein Einheimischer fasste es so zusammen: Whatever you like!

Obwohl der Himmel strahlend blau war, herrschte am Parkplatz erstaunlich wenig Betrieb. Vielleicht liegt es daran, dass man in der Karibik eben doch Küsten und Strände vorzieht oder weil es nicht viele Wege im Park gibt, die sich bequem und ohne Führer begehen lassen.

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Willkommen im Grand Etang Nationalpark

Vom Parkplatz schickte man mich zunächst zum Besucherzentrum, wo ich mich nach möglichen Wegen erkundigen könne. Man war etwas verblüfft, als ich dort auftauchte; das Zentrum glich gerade einer Baustelle und wurde renoviert. Ob man mich tatsächlich hierher geschickt hätte? Offiziell sei es eigentlich zurzeit geschlossen. Glücklicherweise ist einer der einfachsten Wege vom Besucherzentrum aus zu sehen und mit dem Finger durch die Landschaft leicht erklärt.

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Besucherzentrum des Grand Etang Nationalparks

Vom Hügel, auf dem das Besucherzentrum steht, ist der Grand Etang Lake gut zu sehen, und ein gut ausgeschilderter Weg, der Shoreline Trail, führt in ein bis zwei Stunden um ihn herum.

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Grand Etang Lake, vom Besucherzentrum aus gesehen

Obwohl der See weder besonders groß ist noch wirklich spektakulär aussieht, wird er mit seiner zentralen Lage im Herzen Grenadas doch als so bemerkenswert erachtet, dass er sogar auf dem Wappen Grenadas dargestellt ist, zusammen mit dem umgebenden Urwald, einem Gürteltier und einer Taube. Beiden bin ich nicht begegnet, auch der Monameerkatze nicht, der einzigen Affenart Grenadas, die mit einem Sklaventransport aus Westafrika gebracht wurde und sich seitdem in der Region des Grand Etang Parks verbreitet hat. Glücklicherweise hat Grenada keine giftigen Schlangenarten, so dass es erlaubt ist, zumindest die einfachen Wanderungen auch ohne Führer zu unternehmen.

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Grand Etang Lake in Richtung Nordwesten

Der Grand Etang Lake ist ein Kratersee, und man kann den bewaldeten Kraterrand, der den See umringt, gut erahnen. In einem Reiseführer habe ich gelesen, der See sei „sehr tief“, aber alle anderen Quellen nennen etwa 6 Meter als größte Tiefe, was ich nun nicht als sehr tief bezeichnen würde. Vielleicht meinte man mit „sehr tief“ ja eher „sehr unheimlich“, was schon eher stimmen mag: Die Sichtweite reicht nicht bis zum Grund des Sees, es gibt eine Legende über ein Seeungeheuer und Indizien, dass der See unterirdisch mit einem vor der Nordküste Grenadas gelegenen erloschenen Vulkan verbunden sei, und es ist nicht ganz geklärt, über welche Zuflüsse der See sein Wasser erhält, obwohl es einen eindeutigen Abfluss gibt, der mit einem kleinen Damm, der den Spiegel des Sees um ca. 1,5 Meter anhebt, reguliert wird.

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Grand Etang Lake in Richtung Nordosten

Ob deshalb niemand hier badet, bezweifle ich. Es ist vermutlich einfach verboten, da der See der wichtigste Trinkwasserspeicher Grenadas und somit Wasserschutzgebiet ist. Da der See ringsum von einem breiten Streifen dichten Schilfrohrs umgeben ist, wäre der Zugang zu seiner freien Wasserfläche auch nicht so ganz einfach.

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Beginn des Shoreline Trail

Der Shoreline Trail beginnt direkt am Ufer des Sees, verlässt es aber schnell. Obwohl das Ufer nie weit entfernt ist, kann man den See auf dem Wanderpfad durch die dichte Urwaldvegetation fast nie sehen.

Schon ziemlich zu Beginn des Pfades wird klar, dass es hier durchaus häufig regnet. An manchen Stellen kann man leicht bis zu den Knöcheln im Schlamm versinken, wenn man nicht einen erfinderischen Slalomkurs einschlägt, der die heikelsten Stellen vermeidet. Meine Trekkingschuhe sahen nach der Wanderung reif zur Entsorgung aus, ließen sich aber doch wieder komplett reinigen, und man sagte mir, das bisschen Schlamm sei doch gar nichts; von diesem Weg wären schon manche bis zu den Knien mit Schlamm bedeckt zurückgekehrt.

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Der Pfad windet sich in einem ständigen Auf und Ab und kurvenreich durch den Urwald. Das dichte Blätterdach sorgt für viel Schatten, aber die Sonne, die durch gelegentliche Löcher scheint, wirft immer noch genug Licht auf dem Waldboden und an die Baumstämme, so dass es nicht wirklich dunkel ist.

Bambusgewächse, Mahagonibäume und hohe Palmen lassen erkennen, dass man nicht in einem heimischen Wald unterwegs ist, noch mehr aber die kräftigen Rufe exotischer Vögel, die hin und wieder durch den Wald schallen.

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Auf dem Shoreline Trail

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Zum Glück war die Parkverwaltung so sorgfältig, häufig genug Wegweiser aufzustellen, denn so manches Mal ist es nicht ganz klar, wo der Weg verläuft, und auf Wanderer, die den Weg kennen, kann man nicht unbedingt zählen. Während der ganzen Seeumrundung habe ich keinen einzigen getroffen.

In der Nähe des kleinen Damms, wo der See abfließt, gibt es die einzige Stelle auf dem Pfad, an der man noch einmal Sicht auf den Grand Etang Lake hat.

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Blick auf den Grand Etang Lake vom Shoreline Trail aus

Vom Besucherzentrum aus gibt es einen leichten Weg, der in etwa 10 Minuten auf einen Aussichtspunkt führt, von dem aus deutlich wird, wie weit sich die Waldgebiete auf Grenada bis an die Küsten erstrecken.

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Blick vom Grand Etang zur Ostküste Grenadas

Auf dem Weg über die Hauptstraße vom Grand Etang zur Ostküste gibt es noch einige schöne Aussichtspunkte mit Blick zurück auf den Park und die grünen Berge im Inneren der Insel.

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Blick ins Inselinnere Grenadas

Der Weg zurück führte über die Ost- und Südküste an der Woburn Bay entlang und unter anderem über eine enge Straße, die jemand parkend von einer einspurigen in eine etwa halbspurige Fahrbahn verwandelt hatte. Das unglaubliche Verkehrschaos, das er damit verursachte – für 50 Meter brauchte man dort etwa 20 Minuten – sah er sich gelassen an sein Auto gelehnt und plaudernd mit einer Flasche Carib-Bier an. Man fluchte und hupte wie wild, aber nur, wenn der Vordermann sich nicht waghalsig genug gegen den Gegenverkehr in eine sich für eine Sekunde öffnende Lücke stürzte. Der parkende Plauderer mit kühlem Bier blieb unbehelligt. Haha! Andere Länder, andere Prioritäten.

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Woburn Bay und Brücke nach Hog Island (links)

(Fotos vom Januar 2019)

(Sorry noch einmal für die mit einer versehentlich eingestellten ISO-10000-Empfindlichkeit vermasselte Fotoqualität. Am Abend nach diesem Ausflug hatte ich dann den Fehler bemerkt und korrigiert.)

 

Grenada – Grand Anse und Südküste

Sanfte Strände und wilde Felsküsten

Einer der ersten Eindrücke, als ich abends auf Grenada ankam und nach oben blickte, war irritierend: Orion stand senkrecht am Himmel. Unser europäisches Wintersternbild, das meistens nur so gerade über dem Horizont dümpelt, an einer völlig falschen Position!

Das war nicht das einzige, was falsch war. Als ich im Mietwagen saß, wurde mir – obwohl ich es natürlich vorher wusste – angesichts des Fahrersitzes auf der rechten Seite erst richtig klar, dass man hier links fährt. Meine bisherige Gelassenheit gegenüber der Herausforderung einer ungewohnten Straßenseite verwandelte sich in eine gewisse Unruhe, insbesondere da es inzwischen völlig dunkel war.

Meine naturgemäß recht langsame Fahrt machte mich dann bald mit der nächsten Eigenart des Autofahrens auf den ostkaribischen Inseln vertraut: Für die Einheimischen ist das wichtigste Bauteil eines Autos die Hupe. Von ihr wird äußerst häufig Gebrauch gemacht und es ist selten klar, zu welchem Zweck, aber was man mit dem Hupen zum Ausdruck bringt, reicht von „Hallo, super Tag heute!“ über „Hallo mein Freund, ich überhole jetzt!“, „Danke fürs Überholenlassen!“ und „Pass auf Du Penner, ich überhole jetzt!“ bis „Gib Gas, Du Penner!“. Ich fürchte, an jenem Abend mit mir auf Grenadas Straßen überwog die letzte Variante, gilt doch die Straße vom und zum Flughafen als die Rennstrecke auf Grenada, auf der vor allem Taxis versuchen, Rekorde zu brechen.

Links fahrend, im Dunkeln, mit hupenden einheimischen Taxis im Nacken versuchte ich also, mein Hotel zu finden. Aus eigener Kraft wäre ich gescheitert, zu groß ist auf Grenada die Abneigung gegen wegweisende Beschilderungen. So war ich denn recht früh gezwungen, die einzig richtige Strategie, auf der Insel einen Weg zu finden, zu lernen: Anhalten und nach dem Weg fragen – am besten häufig und etappenweise. Das funktioniert immer und ist meistens von großer Freundlichkeit, mindestens aber von sachlicher Präzision, also immer von Hilfsbereitschaft, begleitet – vom Grundschüler, der gerade in Uniform aus der Schule kommt, bis zur betagten Dame, die mit Sonnenschirm zur Kirche unterwegs ist. Man kann davon ausgehen, dass in diesem kleinen Land mit seinen gerade einmal 100.000 Einwohnern und seinem dünnen Straßennetz praktisch jeder jeden Winkel der Insel und den Weg zu ihm kennt. So entnervend es an diesem ersten Abend war, den Weg zu finden, hat es mir an den späteren Tagen geradezu Spaß gemacht, ihn nicht zu finden und damit Gelegenheit zu haben, nach ihm zu fragen.

Am ersten Morgen sah die Welt dann ganz anders aus.

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Sonnenaufgang über Grenada

Meine Enttäuschung vom Vorabend, in der mondlosen, schwarzen Nacht keinen Hauch des karibischen Meers zu sehen, war verschwunden.

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Grand Anse Bay

Nicht minder beeindruckend wie das türkisfarbene Meer ist die tropische Vegetation, die sich über der Bucht, der Grand Anse Bay, die Hügel hinauf erstreckt.

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Tropischer Garten über der Grand Anse Bay

Hier wie auch auf allen anderen ostkaribischen Inseln ist die Bougainvillea (die zur Pflanzenfamilie mit dem schönen Namen „Wunderblumengewächse“ gehört) ein fast alltäglicher Anblick und eine der ersten farbenfrohen Strauchblumen, die ins Auge stechen.

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Bougainvillea

Auf der anderen Seite der Bucht liegt Grenadas Hauptstadt St. George’s, vor der fast täglich ein Kreuzfahrtschiff anlegt. Der kleine Hafen bietet kaum mehr Platz als für eines der großen Schiffe.

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Grenadas Hauptstadt St. George’s auf der gegenüberliegenden Seite der Grand Anse Bay

Die Grand Anse Bay im Südwesten Grenadas ist das touristische Zentrum der Insel. Die meisten Hotels befinden sich in der Nähe des etwa drei Kilometer langen hellen Sandstrands, der die Bucht säumt. Die Hotels fügen sich geradezu unauffällig in die Landschaft ein, was vor allem der gesetzlich festgelegten Bauvorschrift zu verdanken ist, dass auf Grenada kein Hotel höher als eine Palme sein darf, was auf maximal ungefähr zwei Stockwerke plus Spitzdach hinausläuft. Der Strand ist über seine ganze Länge gesehen ganz und gar nicht überlaufen, obwohl er als einer der schönsten der ganzen Karibik gilt.

Das gilt nicht ganz für das nördliche in Richtung St. George’s sich erstreckende Drittel. Ob es hier voll ist oder nicht, hängt mehr oder weniger allein davon ab, ob gerade ein Kreuzfahrtschiff vor Anker liegt. In dem Fall entscheidet sich normalerweise ein Teil der Kreuzfahrer dafür, einen Tag am Strand zu verbringen. Die Geschäftstüchtigkeit der Einheimischen läuft dann auf Hochtouren mit aufgestellten Sonnenschirmen, Liegen, einem kontinuierlichen Angebot an Drinks, kleinen Bootsfahrten in die Bucht und Tauch- oder Schnorchelangeboten.

Weiter südlich reißt die Infrastruktur aus Schirm, Liege und Rumpunsch irgendwann ab und es gibt dann viele Stellen, an denen man ein großes Stück Strand beinahe für sich allein hat.

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Grand Anse Beach

Die Luft und das Wasser haben hier immer angenehme Temperaturen, selbst wenn die Wolken mal etwas mehr Schatten werfen.

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Grand Anse Beach

So paradiesisch es heute hier ist, war dieser Strand tatsächlich einmal der Schauplatz von Kämpfen während der amerikanischen Invasion von 1983. Stacheldrähte und Minen haben dem Strandleben für einige Zeit den Garaus gemacht. Davon ist heute nichts mehr zu sehen, und es gibt nur noch sehr wenige offensichtliche Zeugnisse dieses politischen Kapitels Grenadas, das den kleinen Inselstaat für kurze Zeit in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt hatte. Davon aber mehr in einem späteren Beitrag.

In der Nähe des Grand Anse Beach liegt auch das größte Einkaufszentrum der Insel. Wirklich groß ist es nicht, aber was ihm an Ausdehnung fehlt, macht es durch Flaggen, Banner und eine Fülle an Verbotsschildern wieder wett.

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Auszug aus dem zu beachtenden Regelwerk vor dem Betreten eines Einkaufszentrum

Im Einkaufszentrum liegt auch der Eingang zu einer Bank, der den für das ganze Gebäude geltenden Verboten noch ein paar spezielle für die Bank hinzufügt: Keine Fotos, Sonnenbrille runter, Hut ab! Der Respekt vor allen Staats- und anscheinend auch Finanzinstitutionen wird auf Grenada sehr ernst genommen.

Die Grand Anse Bay liegt recht weit im Süden der Insel, aber noch auf der Westseite, der karibischen Seite, die geschützt vor den Winden des Nordostpassats ist. Das Bild ändert sich deutlich, wenn man die direkte von vielen kleinen Halbinseln und Felsvorsprüngen zerklüftete Südküste der Insel erreicht. Strände kommen hier nur noch in den tief eingeschnittenen Buchten vor. Die dem Wind ausgesetzte Felsküste ist rau und zeigt nur noch eine niedrige aus Gräsern und Sträuchern bestehende Vegetation.

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Südküste Grenadas in Richtung Osten

Das Bild ist auf allen dem offenen Atlantik zugewandten Seiten der ostkaribischen Inseln zu finden, und es gehört zu ihnen gleichermaßen wie Palmen und weiße Sandstrände.

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Südküste Grenadas in Richtung Westen
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Lance aux Epines Lighthouse

Dennoch bieten die vielen Halbinseln und ins Inselinnere eingeschnittenen Buchten an der Süd- und Ostküste Grenadas genug Schutz vor dem Wind, um sie in ideale karibische Badebuchten und Strände zu verwandeln.

Eine der größten Halbinseln an der Südküste ist die Lance aux Epines, an deren äußerster Spitze ein Leuchtturm über den Klippen thront.

Im Inneren der westlich der Halbinsel liegenden Prickly Bay befindet sich der Lance aux Epines Beach, um den sich ein kleineres zweites touristisches Zentrum entwickelt hat, das größenteils von recht exklusiven und teuren Hotels umgeben ist.

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Prickly Bay und Lance aux Epines Beach
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Lance aux Epines Beach

Der Zugang zu dem Strand ist nicht so offensichtlich und man könnte auf den ersten Blick meinen, es handele es sich um private, den Hotels gehörende Strandabschnitte. Glücklicherweise ist das nicht der Fall; die Strände in der ganzen Karibik sind grundsätzlich öffentlich und können nicht privatisiert werden, ganz gleich, wie viele Dollar ein Interessent bieten mag. In den meisten Fällen führt der einfachste Weg zum Strand einfach durch eine Hotelanlage. Vermutlich könnten die Hotels dem Einhalt gebieten, aber sobald man einmal den Strand erreicht hat, ist man auf sicherem öffentlichem Boden und kann ihnen die lange Nase zeigen. Oder man trinkt ein Carib-Bier, einen Rumpunsch oder einen kreativen Kokos-Mango-Ananas-Limetten-Guave-Soursop-Sternfrucht-WasSonstNochGeradeDaIst-Fruchtsaftmix in ihrer Strandbar, um sich für das nächste Mal die freundschaftlichen Beziehungen zu erhalten.

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Blick vom Lance aux Epines Beach auf die Prickly Bay

(Fotos vom Januar 2019)

(PS: Falls die Bilder ab dem Leuchtturm etwas unscharf und verwaschen erscheinen, dann täuscht der Eindruck nicht. Ich habe unbemerkt und versehentlich eine Kameraeinstellung verfummelt und an dem Nachmittag – und leider auch am nächsten Tag – alles mit ISO 10000 fotografiert, was zu einer sehr üblen Körnigkeit und Unschärfe der Fotos führt.)

 

Inselhopping Ostkaribik

Eindrücke aus vier Inselstaaten

„Wieso gerade Ostkaribik?“, wurde ich ein paar Mal gefragt. „Eigentlich wollte ich auf die Seychellen, bin aber ins falsche Flugzeug gestiegen“, war dann meistens meine Antwort.

Stimmt natürlich nicht; angesichts heutiger Sicherheitsvorkehrungen an Flughäfen würde es einige kriminelle Raffinesse erfordern, wollte man erfolgreich ins falsche Flugzeug steigen. Genaugenommen stimmt die Antwort nur zur Hälfte. Es gab tatsächlich einen primären Plan, auf die Seychellen zu reisen, aber diverse Hinweise auf schwüles Klima, mehr Regen und Schwemmen von Seegras in der Winterzeit haben mir den Plan leicht madig gemacht, oder ihn zumindest als suboptimal einstufen lassen. Die Sommermonate gelten gemeinhin als angenehmere Reisezeit für die Seychellen, wie ich dann erfahren haben. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Da ich aber bei einigermaßen tropischen Inseln bleiben wollte, musste eine vergleichbare Alternative her. Der Winter ist die ideale Jahreszeit für die Karibik im Ganzen; es ist dann trockener als in den Sommermonaten und die Bedrohung durch Hurrikans, deren atlantische Brutstätten praktisch direkt vor der Tür liegen, und kleinere Stürme ist deutlich geringer. Von den vielen Optionen, die sich in der Karibik auftun, sind die Inseln der Kleinen Antillen am ehesten für ein Inselhopping, wie ich es auch für die Seychellen vorgesehen hatte, geeignet.

Die Details waren dann mehr eine Frage des Zufalls und insbesondere der Planung der An- und Rückreise und geeigneter Verbindungen zwischen den Inseln. Wenn man nicht gerade mit dem eigenen Boot unterwegs ist, sind Flüge hierbei die einzige einigermaßen flexible Option. Überraschenderweise ist es mit Fährverbindungen zwischen den Inseln erstaunlich schlecht bestellt.

Damit die ganze Reise auch hinreichend kompliziert und mühselig wird, fiel die Wahl also auf vier etwa 13.000 Kilometer von den Seychellen entfernte Inseln, die im südöstlichen Teil der Karibik liegen – Grenada, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, und Barbados.

Karibik
Karibik

Diese Inseln gehören zu den sogenannten „Windward Islands“ (etwa Martinique bis Grenada), die zusammen mit den weiter nördlich gelegenen „Leeward Islands“ (etwa Anguilla bis Dominica) wiederum Teil der „Inseln über dem Winde“ sind, die sich von den im Wesentlichen aus Aruba, Bonaire und Curaçao bestehenden „Inseln unter dem Winde“ („Leeward Antilles“) abgrenzen, die sich ein gutes Stück weiter westlich über der Nordküste Venezuelas befinden. Nimmt man noch das am südlichsten gelegene Trinidad und Tobago hinzu, so sind die „Kleinen Antillen“ komplett. Den Rest der Karibik machen die „Großen Antillen“ (mit Kuba, Jamaica, Haiti und der Dominikanischen Republik sowie Puerto Rico), die Bahamas und die Turks- und Caicosinseln aus.

Dieses ganze karibische Inselgebilde nennt man absurderweise auch „Westindische Inseln“ („West Indies“), zum einen, weil Christopher Columbus damals auf der Suche nach dem Westweg nach Indien war und glaubte, Inseln vor der Küste Indiens gefunden zu haben, zum anderen, weil sich die Karibik bald nach ihrer Entdeckung zu einem Handelsarchipel für Europa, insbesondere Großbritannien, entwickelte, der sich in entgegengesetzter Richtung zu den schon früher bekannten Ostindischen Inseln (Indonesien, Philippinen, Malaysia, etc.) befand. Er war sozusagen das geographische Inselspiegelbild, das die imperialistische Weltkarte komplettierte. Es gibt heute noch viele traditionelle Institutionen, z.B. karibische Universitäten, die den Begriff „West Indies“ in sich tragen, aber bei den heutigen Einheimischen ist der Zusatz „Caribbean“ entschieden beliebter, verbindet man doch mit „Westindien“ zu viel koloniale Vergangenheit.

Den Namen der einzelnen Teilregionen der Kleinen Antillen kann man schon entnehmen, dass sich hier viel um den Wind, und zwar vor allem den Nordostpassat dreht.

Passat
Globale Windsysteme, der Nordostpassat in gelb

Diesem ständig wehenden Wind sind die östlichen Inseln der Karibik, die „Inseln über dem Winde“, in besonderem Maße ausgesetzt, allen voran der östlichste Vorposten Barbados, an dessen Nordostspitze dieser Wind und seine Wirkung auf die wilde Brandung gegen die Küste unmittelbar greifbar wird. Der Nordostpassat bringt auch viel über dem Atlantik aufgenommene Feuchtigkeit mit, die im Inneren der Inseln oft für viel Regen und tropische Vegetation sorgt. Für die landwirtschaftliche Produktion ist er ein Segen. Die viel weiter westlich gelegenen „Inseln unter dem Winde“ werden weit mehr von den Passatwinden verschont, sind aber daher auch viel trockener.

Der ewige Nordostpassat hat den Küsten aller Inseln der Kleinen Antillen seinen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt; sie haben alle eine windige, raue, oft aus felsigen Klippen bestehende Ostküste, gegen die unentwegt die Brandung rollt und die außerhalb schützender Buchten zum Baden und Tauchen ungeeignet und oft zu gefährlich ist, und eine ruhigere, sanfte, mit Sandstränden gesegnete Westküste, die im Windschatten der Insel liegt. Oft nennt man die Ostküste die atlantische Seite und die Westküste die karibische Seite.

FlagGrenada
Grenada

Bei den vier Inseln handelt es sich um vier unabhängige Staaten, was die Komplikation mit sich bringt, dass die teilweise nur 30 Minuten dauernden Flüge zwischen ihnen internationale Flüge sind, die jeweils von einem lästigen Prozess der Immigration, Emigration, Zolldeklaration und Zollkontrolle begleitet sind. Glücklicherweise ist die Gestaltung des Immigrationsformulars überall ähnlich, so dass man schnell Übung im Ausfüllen desselben gewinnt.

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St. Lucia

Grenada, St. Lucia und St. Vincent haben auch die gleiche Währung, den Ostkaribischen Dollar, was die Währungstauscherei deutlich reduziert. Nur Barbados hat mit dem Barbados-Dollar eine eigene Währung, akzeptiert aber, wie auch die anderen drei Inseln, praktisch überall US-Dollar. Die Landeswährungen sind mit einem Festkurs an den US-Dollar gebunden, d.h. der Kurs gegenüber dem US-Dollar schwankt nie, aber gegen den Euro schon, eben im gleichen Maße wie der Kurs zwischen US-Dollar und Euro. Bettler sind finanzwirtschaftlich am besten bewandert und akzeptieren jegliche Währung. Als ich einmal 2 ostkaribische Dollar aus dem Portemonnaie hervorkramte, kam sofort bei einem nur flüchtigen Blick in die Börse der begeisterte Ruf „Give me the 2 Euro coin!“ (was mehr als das dreifache ist, wie der Schalk gewiss wusste)

FlagStVincent
St. Vincent and the Grenadines

Historisch haben alle vier Länder eine grob vergleichbare Vergangenheit. Die Inseln wurden vermutlich von Columbus – aus europäischer Sicht – zuerst entdeckt, konnten aber nicht wirklich das Interesse der spanischen Krone wecken. Man war mehr auf das Gold des südamerikanischen Kontinents aus. Deshalb sind die spanischen Einflüsse sehr gering und Spanisch ist trotz der Nähe zu Südamerika auf den Kleinen Antillen eine Fremdsprache, die man evtl. in der Schule, autodidaktisch oder gar nicht lernt. Die Inseln gerieten dann schnell in den Strudel anderer europäischer Seemächte, allen voran Großbritannien, Frankreich und die Niederlande. Auf den vier Inseln, die ich besucht habe, waren es hauptsächlich Großbritannien und Frankreich, die sich über Jahrhunderte um den Besitz gestritten und dort Schlachten ausgefochten haben. Beide haben den Inseln mehr oder weniger in Ortsnamen, Sprache und Gebräuchen ihren Stempel aufgedrückt.

FlagBarbados
Barbados

Heute sind die Staaten unabhängig, gehören aber alle zum britischen Commonwealth. Man fährt links und die offizielle Landessprache ist überall englisch, das aber im Alltag unter den Einheimischen durch Patois, einer mit dem Kreolischen verwandten Mischung aus afrikanischen Sprachen, englisch und französisch ergänzt wird – mehr französisch geprägt auf St. Lucia, mit eher englischem Schwerpunkt auf den anderen drei Inseln. War die Ökonomie in der Vergangenheit noch von der Landwirtschaft mit Kaffee, Gewürzen, Zucker und Bananen getrieben, so ist sie heute vom Tourismus dominiert. Die Gäste sind der kolonialen Geschichte entsprechend zum ganz überwiegendem Teil englischer oder amerikanischer Herkunft. Als deutscher Tourist ist man ein wenig ein Exot, insbesondere wenn man eine Unterkunft auf den Inseln hat – aber das macht die Leute oft neugieriger als die viel häufigere Begegnung mit dem allgegenwärtigen Gast aus England. Eine Unterkunft zu haben, ist nicht selbstverständlich, da ein großer Teil aller Besucher heutzutage von Kreuzfahrtschiffen aus über die Inseln herfällt, sie morgens heuschreckenartig aufsucht und abends wieder verlässt. Man ist trotzdem deswegen nicht negativ gestimmt, denn diese Tagesbesucher sind ein ernster Wirtschaftsfaktor, von dem so mancher Einheimische lebt, eher als vom Pauschalresorttouristen, dessen Geld in die Taschen großer Hotels und Hotelketten fließt, die sich in ausländischer, meistens amerikanischer, Hand befinden.

Geht man durch die Ortschaften und Dörfer auf den Inseln, so mag man sich leicht inmitten einer afrikanischen Bevölkerung wiederfinden. Das ist nicht nur ein Vergleich, tatsächlich sind die Menschen zu etwa 90% oder mehr ihrer Herkunft vor Generationen nach Afrikaner. Zurückzuführen ist das auf das dunkelste Kapitel der an sich schon dunklen Kolonialgeschichte, den Sklavenhandel, der ein Teil des sogenannten Atlantischen Dreieckshandels war.

AtlantischerDreieckshandel
Quelle: Aus Politik und Zeitgeschichte „Sklaverei“, www.unesco.org „The Slave Route“, Lizenz: Creative Commons by-nc-nd/3.0/de, Bundeszentrale für politische Bildung, 2016, www.bpb.de

Dabei wurden Sklaven von den westafrikanischen Kolonialgebieten in die Karibik und nach Nordamerika verschleppt, dort zur Arbeit auf den Feldern gezwungen, die Früchte ihrer Arbeit wurden ihnen weggenommen und nach Europa verschifft, wo sie verkauft und in andere Waren umgewandelt wurden. Diese Produkte gingen wiederum in die westafrikanischen Kolonien zum Ankauf neuer Sklaven – und der Kreislauf begann von Neuem. (Der von Ost nach West wehende Passat, die nördlicheren von West nach Ost gerichteten Winde und der Golfstrom waren dabei übrigens ideale Unterstützer für diesen Kreislauf der Segelschiffe und machten den Transport schnell und relativ einfach.) Der Brutalität auf den Transportschiffen und den Härten der Feldarbeit sind Zig-Millionen zum Opfer gefallen.

Häufig fallen übrigens auch Menschen anscheinend indischer Herkunft auf den Inseln auf. Deren Vorfahren wurden nach dem Verbot der Sklaverei Mitte des 19. Jahrhunderts als Arbeiter auf den Plantagen angeheuert und haben sich dort für immer niedergelassen.

So befremdend das Gefühl von Nationalstolz für mich ist, kann man vielleicht aufgrund dieser Geschichte verstehen, warum man es mit der Unabhängigkeit, der eigenen selbstbestimmten Nation und ihren rechtlichen Spielregeln in diesen Kleinstaaten so ernst nimmt. Die Immigatrionsbeamtin auf Grenada hat mit finsterster Miene und so spannungsaufbauender Langsamkeit alle Details meines Reisepasses studiert, bevor sie ihn mit all ihrem amtlichen Gewicht mit den notwendigen Einreisestempeln versehen hat, dass ich beinahe schlottrige Knie bekam – ich musste erst einmal prüfen, ob es nicht ein „Immigration Rejected!“-Stempel war -, und dann setzte der Zollbeamte mit einem Kreuzverhör, bei dem ich die ganze Zeit das Gefühl hatte, er wolle mich in Widersprüche verwickeln, noch einen drauf. Alle Achtung! Ein Wort wie „Bananenrepublik“ würde ich hier auf keinen Fall über die Lippen zu bringen wagen!

Ja, Grenada war der Startpunkt der Reise, danach folgte St. Lucia, dann Bequia, eine Insel, die zu St. Vincent und den Grenadinen gehört, und zum Abschluss Barbados.

OstKaribikPlan
Reiseroute zwischen den Inseln

Auf den Inseln hatte ich teilweise mehrere Unterkünfte, acht insgesamt in zweieinhalb Wochen, zwischen denen es größtenteils mit einem Mietwagen hin- und herging, manchmal mit dem Taxi. Die Verbindung zwischen der Hauptinsel von St. Vincent und Bequia ist eine etwa einstündige Fährüberfahrt. Die Flugverbindungslücke auf St. Lucia erklärt sich dadurch, dass die Insel zwei Flughäfen hat und ich sie auf dem südlichen Flughafen betreten und auf dem nördlichen wieder verlassen habe.

Eine Menge Fotos sind entstanden, aber davon dann mehr in den folgenden Blogposts.