Kein grünes Leuchten

Wie man sieht, sieht man nichts

OlymposRoom

Als ich vor gut einem Monat in Ólympos auf Karpathos war, hatte ich dort dieses ungerechtfertigt günstige Zimmer mit einer Aussicht, die mich erst einmal minutenlang trotz durchaus heftigen Windes angewurzelt und überwältigt auf dem Balkon stehen ließ. Etwa 100 Meter über der Westküste bot sich ein freier unverstellter Blick über die Ägäis, der bis zum Horizont reichte.

Als sich der Tag dem Abend neigte, die Farbe des Himmels langsam in tiefes Blau überging und sich am Horizont dann der erste Hauch von Rot abzeichnete, wurde mir klar, dass dieser Balkon nicht der schlechteste Ort für die Beobachtung eines Sonnenuntergangs sein würde.

Ich hatte schon zwei, drei Fotos der langsam sich dem Horizont nähernden Sonne aufgenommen, als mir durch den Kopf schoss, dass es doch da dieses angebliche und seltene Phänomen beim Sonnenuntergang gibt, das ich noch nie gesehen hatte: Das grüne Leuchten.

Zum ersten Mal hatte ich von diesem Phänomen im gleichnamigen Film von Éric Rohmer gehört. Obwohl ich mich kaum noch an die Szene des Sonnenuntergangs – es mag auch ein Sonnenaufgang gewesen sein, denn da zeigt sich das grüne Leuchten ebenfalls – erinnern kann, vielmehr an die Szene mit den rauschenden Baumwipfeln, die ein schweigender Naturgeist zu beleben scheint, ist mir dieser seltene Moment beim Sonnenuntergang im Gedächtnis geblieben.

Ich hatte keine Ahnung, ob bestimmte besondere Voraussetzungen bestehen müssen oder ob das Phänomen von speziellen klimatischen Bedingungen abhängt, aber es war auch mittlerweile keine Zeit mehr, das herauszufinden und zu prüfen, also stellte ich mich auf den Balkon und fing völlig unprofessionell an, bei vollem Kamerazoom etwa im 10- bis 30-Sekundentakt aus der Hand ein Foto aufzunehmen – mit folgendem Ergebnis:

SunsetOlympos

Wie man sieht, sieht man nichts. Jedenfalls nichts in Grün. Auch genauere Pixelanalysen in Paint (wie gesagt: unprofessionell) haben mir nicht das kleinste grüne Fünkchen offenbart.

Ist das grüne Leuchten nun ein Mythos oder nur der Phantasie eines französischen Regisseurs entsprossen? Tatsächlich haben das viele Laien lange Zeit geglaubt, aber heutzutage bringt die Eingabe des Begriffs in eine Suchmaschine viel zu viele Treffer mit Videos und Fotos ans Tageslicht, die in dieser Menge nicht alle einer konzertierten  Verschwörung zur Irritation der Menschheit entsprungen sein können. (Na gut, Leute die nicht an die Mondlandung glauben, glauben vielleicht trotzdem nicht ans grüne Leuchten.)

Ich habe also im Nachgang recherchiert, warum meine Suche nach dem grünen Leuchten fehlgeschlagen sein könnte. Zunächst einmal war eine sehr wichtige Bedingung erfüllt: Idealerweise beobachtet man den Sonnenuntergang – oder -aufgang – gegen einen sehr fernen und damit niedrigen Horizont , der durch keine Berge, Hügel oder noch so kleine Erhebungen verstellt und angehoben wird. Der schnurgerade, flache Horizont über dem Meer ist daher perfekt, und ein leicht erhöhter Standpunkt hilft zusätzlich. (Das grüne Leuchten ist aber auch gegen eine Gebirgskette möglich, wenn man sich nur selbst an einem Punkt befindet, der hoch genug ist.) Das Phänomen ist an keine Klimazone, bevorzugte geographische Breite oder irgendwelche speziellen Partikel in der Luft gebunden. Es ist im Wesentlichen nur auf Optik und Geometrie zurückzuführen und kann im Prinzip überall beobachtet werden.

Falsch ist allerdings, nur alle 10 bis 30 Sekunden ein Foto aufzunehmen, denn das grüne Leuchten wird nicht umsonst auch grüner Blitz genannt, da das Phänomen tatsächlich nur 1 bis 2 Sekunden andauert.

Obwohl es theoretisch möglich ist, dass ich gerade im Moment des grünen Blitzes kein Foto gemacht und ihn deshalb einfach übersehen habe, gehe ich eher davon aus, dass die in der Ferne zu diesige Luft das Problem war, denn tatsächlich wirkt der Luftschleier über dem Horizont wie eine sehr flache Hügelkette, die dazu führt, dass die Sonne eigentlich optisch nicht erst unter dem wirklichen Horizont verschwindet, sondern schon etwas früher und damit etwas höher hinter den Luftschwaden versinkt. Eine völlig klare Luft am Horizont ist also ebenfalls eine entscheidende Voraussetzung, um das grüne Leuchten beobachten zu können.

Diese Voraussetzungen ergeben sich mehr oder weniger direkt aus der physikalischen Erklärung des grünen Leuchtens, das auf eine unterschiedlich starke Beugung und Streuung der verschiedenfarbigen Lichtstrahlen von der Sonne in der Erdatmosphäre zurückzuführen ist – oder, besser gesagt, des weiß-gelben Lichtstrahls von der Sonne, der an der Atmosphäre wie an einem Prisma in mehrere Farben gebrochen wird. Dabei werden rote und gelbe Lichtstrahlen beim Eintritt in die Atmosphäre weniger stark gebeugt als grüne und blaue Strahlen. Durch diese Beugung erreicht das grüne und blaue Licht das Auge des Betrachters einen Augenblick länger als das rote und gelbe Licht, wenn nur noch ein winziges Segment der Sonnenscheibe über dem Horizont übrig geblieben ist. Der kurze Moment, wenn nur noch der grüne Anteil verbleibt, ist der grüne Blitz.

GreenFlashPhysics

Wenn man so will, kann man im grünen und blauen Spektrum eine kurzen Augenblick um die Erdkrümmung herum und hinter den Horizont blicken, während gelbe und rote Strahlen durch ihre geringere Beugung über das Auge hinweggehen und es nicht mehr erreichen. Der ganze Effekt ist umso deutlicher, je niedriger der Horizont ist, da dann der Weg des Lichts durch die Atmosphärenschichten am längsten und die Beugung der Lichtstrahlen am stärksten ist.

Obwohl das Phänomen für den blauen Anteil des Lichts noch ausgeprägter sein sollte, da blaues Licht noch stärker gebeugt wird als grünes Licht, macht es sich nicht bemerkbar, da Blau an den Luftmolekülen stärker gestreut wird und der blaue Anteil sozusagen in alle Himmelsrichtungen abgelenkt wird und dadurch im Auge nichts mehr in Blau ankommt. Oder fast nichts mehr! Denn es gibt tatsächlich auch einen sehr schwachen blauen und sogar violetten Blitz, der aber noch ungleich schwerer zu beobachten ist als das grüne Leuchten.

Bis ich vielleicht eines Tages eine Gelegenheit bei besseren Bedingungen erwische, muss ich wohl aufs Erste neidisch auf andere Quellen zurückgreifen, die das grüne Leuchten bei Sonnenuntergang eingefangen haben:

Oder auch bei Sonnenaufgang.

Die ganz hohe Schule des blauen und violetten Blitzes, die hier z.B. am Observatorium auf La Palma mit seinen atmosphärischen Superbedingungen fotographisch verewigt wurden, stelle ich erst mal ein paar Tage zurück.

 

2 Kommentare zu „Kein grünes Leuchten“

  1. Habe noch nie von einem grünen Leuchten gehört, aber jetzt weiß ich, wonach ich beim nächsten Sonnenuntergang gucken muss. Sonnenaufgänge sind für mich als Langschläfer kaum zu erwischen. Tatsächlich ist es aber sehr schwierig, solch perfekte atmosphärische Bedingungen zu finden.

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    1. Ja, es muss wirklich schwierig sein. Mir ist es auch noch nie gelungen und mir war auch nicht klar, wie kurz dieser grüne Blitz ist. Man muss wohl tatsächlich auf den Horizont der untergehenden Sonne starren, um ihn nicht zu verpassen.

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